: Goldiger, geselliger Klops
Altmodisch dick ist das Wollschwein und süüüüß: Einen Besuch bei der bedrohten Nutztierrasse des Jahres machte ■ Heike Dierbach
Die Ankunft der Weltöffentlichkeit entlockt den Vieren nicht einmal ein müdes Grunzen. Der gezückte Fotoapparat wird lediglich auf seine Freßtauglichkeit hin beschnüffelt, für nur bedingt schmackhaft befunden und mit dem zugewandten Hinterteil bedacht. Die „Wollis“, wie Ralf Neumann, Leiter der Tierpflege im Wildpark Lüneburger Heide, seine plattschnäuzigen Schützlinge nennt, scheinen nicht realisiert zu haben, daß sie seit kurzem berühmt sind: 1999 ist – laut der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) – das „Jahr des Wollschweines“.
Den zwei rotbepelzten Weibchen und ihren schwarzlockigen, halbwüchsigen Jungen im Tierpark beschert das nun einen Extra-Eimer Futter – und der wiederum der verzweifelten Fotografin ein wildes Durcheinanderlaufen ihrer Motive. „Wollschweine sind soziale Wesen“, erläutert Neumann, „und sie können sehr anhänglich werden.“ Ein Junges demonstriert das anschaulich an der frisch gewaschenen Hose der Reporterin.
Aber süüüüß ist es trotzdem. Und fett. In Osteuropa wird das Wollschwein auch „Mangalitza“ genannt, „walzenförmig“. Dort wurde es im 12. Jahrhundert speziell als Speckschwein gezüchtet: Fett hatte als Energiespeicher eine hohe Bedeutung für die Menschen. Noch um die Jahrhundertwende war das Wollschwein deshalb mit einem Anteil von 94 Prozent die am stärksten vertretene Rasse in Ungarn, dem schweinereichsten Land Europas. Heute ist es gerade der hohe Speckanteil, der den Bestand der blonden, roten und „schwalbenbäuchigen“ Tiere gefährdet. In Deutschland, Österreich, der Schweiz und Osteuropa zusammen gibt es gerade noch 1500 Tiere: Magerfleisch ist in.
Die Weibchen im Tierpark Lüneburger Heide kümmern sich nicht um derartige Schönheitsideale und frönen im Stall dem Motto „Nach dem Fressen sollst du ruhn“ – alte Speckschweinweisheit. Obwohl ihr Fett heute nicht mehr gefragt ist, ist der Erhalt der Rasse nicht nur Spielerei, betont Forstingenieur Neumann. Das Wollschwein dient als „Genreserve“, mit der beispielsweise die geringe Widerstandskraft überzüchteter Hausschweinrassen verbessert werden kann.
Doch die Vergrößerung des Bestandes ist schwierig. Um Inzucht zu vermeiden, müssen die Tiere zwischen den verschiedenen HalterInnen ausgetauscht werden, und die leben weit verstreut. Ein Transport aus Nicht-EU-Ländern ist aufgrund von Hygieneauflagen nahezu unmöglich. „Die größte Gefahr aber für unsere Wollis“, erklärt Neumann, „ist die Schweinepest.“ Denn die Vorschrift, nach der in einem befallenen Betrieb alle Tiere getötet werden müssen, unterscheidet nicht zwischen gewöhnlichen und vom Aussterben bedrohten Rassen. Da würde es auch nichts helfen, daß die Wollis mit ihren kleinen Locken so goldig aussehen, daß die Reporterin sich nicht losreißen kann – und den Fleck auf der Hose längst verziehen hat.
Aus der extravaganten Jacke aus Schweinswolle wird allerdings nichts: Der Pelz des Wollschweines sieht zwar flauschig aus, ist aber so hart und borstig wie beim Wildschwein, von dem es ihn geerbt hat. Auch unsere VorfahrInnen haben die Haare nicht verwertet: Eine praktische, eierlegende Wollmilchsau ist also auch die bedrohte Nutztierrasse des Jahres nicht.
Der Wildpark Lüneburger Heide bei Niendorf ist tägl. von 9-16.30 Uhr geöffnet; % 04184/89 39 15. Anfahrt: Per Direktbus vom ZOB, Bahnsteig 1, tägl. um 9 Uhr
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