Geschenke der noblen Art

Naganos Olympiagegner sehen sich durch die jüngsten Enthüllungen bestätigt und klagen gegen die örtliche Olympialobby. Auch Sydney gerät zunehmend ins Zwielicht  ■ Von André Kunz

Nagano (taz/dpa) – „Wir werden nichts verbergen, aber auch nicht die Flucht nach vorne ergreifen“, sagt Tasuku Tsukada, Bürgermeister von Nagano und Mitglied des olympischen Bewerbungskomitees der Stadt. Ein Jahr nach den Winterspielen in Nagano verfolgen die Verantwortlichen der Bergstadt den olympischen Korruptionsskandal mit Besorgnis. Die Frage, ob auch in Japan bestochen wurde vor der Kandidatur im Jahre 1991, beantworten Gegner der Winterspiele schon seit zehn Jahren mit einem lauten Ja.

Zu ihnen gehört der Künstler Masao Ezawa, Vorstand einer Bürgergruppe gegen die Winterspiele, der bereits 1992 ein Gerichtsverfahren angestrengt und Auskunft über die Verwendung von umgerechnet rund 20 Millionen Mark verlangte, die ohne Belege in der olympischen Rechnung auftauchten. Ezawa verlor den Prozeß und wurde zum lokalen Nestbeschmutzer gestempelt. Vor wenigen Tagen schickte er einen Brief ans amerikanische FBI. Darin fordert er die US-Bundespolizei auf, die Ermittlungen um den Skandal in Salt Lake City auf Nagano auszuweiten. Gleichzeitig kündigte Ezawas Bürgerorganisation an, daß sie acht Mitglieder des Bewerbungskomitees – darunter Bürgermeister Tsukada, Gouverneur Goro Yoshimura und der Ehrenpräsident des Komitees, der Milliardär Yoshiaki Tsutsumi – wegen Mißbrauchs von Steuergeldern verklagen will.

Wie sich Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) von Japan verwöhnen ließen, kann in vergilbten Wochenmagazinen aus den späten achtziger Jahren detailliert nachgelesen werden. Doch die handfesten Beweise sind, ähnlich wie in Berlin, wo der Reißwolf treue Dienste tat, entsorgt. Zehn Kartonschachteln mit Belegen sind nach Auskunft von Junichi Yamaguchi, einem Mitglied des Organisationskommitees von Nagano, im März 1992 in der städtischen Verbrennungsanlage in Asche und Rauch aufgegangen. Yamaguchi erinnert sich, daß darunter Ausgabenbelege über die Bewirtung von 62 IOC- Mitgliedern mit Anhang waren, über Helikopterausflüge in den japanischen Alpen, üppige Mahlzeiten in erstklassigen Restaurants mit Geisha-Vorführungen, Übernachtungen in Hotelsuiten und Geschenke der noblen Art.

Ein Jahr nach den Spielen von Nagano und mitten in der schlimmsten Rezession nach dem Weltkrieg gibt es in Japan viele Leute, die sich fragen, ob die 20 Millionen Mark wirklich notwendig gewesen seien. Nagano wartete diese Jahr vergeblich auf den versprochenen Touristenfluß aus den japanischen Metropolen, die mit dem extra gebauten Hochgeschwindigkeitszug anreisen sollten. Die lokale Bauwirtschaft und ihre Zulieferer stecken in einer tiefen Krise. So gesehen sind 20 Millionen Mark viel Geld. Damit könnte man 500 Kleinbetriebe für ein Jahr subventionieren, rechnet ein kritischer Ökonom vor.

Diese Rechnung ist indes falsch. Als sich Nagano für die Winterspiele bewarb, entsprachen die 20 Millionen einem monatlichen Zinseinkommen auf das Vermögen des reichsten Mannes des Landes. Der hieß Yoshiaki Tsutsumi. Auf Betreiben des Duzfreundes von Juan Antonio Samaranch spendeten rund 40 japanische Unternehmen 23 Millionen Dollar für den Bau des olympischen Museums in Lausanne. Spendierfreudigkeit war für die Japaner ein Muß und entsprach dem Zeitgeist. „Wir taten, was wir tun mußten zu diesem Zeitpunkt“, sagt Naganos Bürgermeister Tsukada rückblickend. Manchmal sei es jedoch schwierig gewesen für die Stadt, und Tsukada stimmt in den Chor von Reformern ein, die fordern, daß über die Kandidaturen künftig ein kleiner Ausschuß entscheiden und für die Spesen der Inspektionsreisen das IOC selbst aufkommen sollte.

Während Japans Zeitungen immer neue Enthüllungen melden, gerät auch die Stätte der nächsten Olympischen Spiele zunehmend ins Zwielicht. „Sydney-Spiele in Gefahr“, schrieb gestern die Zeitung The Age. Rund 600 Tage vor der geplanten Eröffnung am 15. September 2000 ist die Furcht riesengroß, das olympische Fest könnte in den schmutzigen Fluten des Skandals untergehen. Der australischen NOK-Präsident John Coates hatte zugegeben, daß er 1993, elf Stunden vor der Entscheidung der IOC-Vollversammlung über die Vergabe der Spiele, den Olympiern Charles Mukora aus Kenia und Francis Nyangweso anbot, ihren NOKs je 60.000 Mark zu zahlen. Noch vor der Wahl erhielten Mukora und Nyangweso das Angebot schriftlich. Wenig später machte die IOC-Vollversammlung Sydney mit 45:43 Stimmen gegenüber Peking zum Sieger.

Sydney hatte elf afrikanische NOKs mit insgesamt 2,2 Millionen Mark bedacht, die als Entwicklungshilfe bezeichnet wurden. Andere Bewerber hätten ähnliche Angebote gemacht, rechtfertigte sich Coates. Kevan Gosper, australisches Mitglied des IOC-Exekutivkomitees, bezeichnete die Angelegenheit zunächst als „jenseits des Erlaubten“, schwenkte später jedoch um und behauptete: „Soweit ich weiß, hat Sydney im Rahmen der Regeln gehandelt.“