: Wer knausert, muß sich in die Bücher gucken lassen
■ Schon jetzt können viele bedrohte Betriebe vom Tarifvertrag abweichen. Nur wenige tun es
Berlin (taz) – Die Metallarbeitgeber bieten in dieser Tarifrunde Einmalzahlungen an, die je nach Ertragslage der Betriebe gezahlt werden können oder nicht. Die Möglichkeit, vom Tarifvertrag nach unten abzuweichen, ist schon in anderen Branchen in Tarifverträgen festgehalten. Aber von dieser Möglichkeit machen die Unternehmen nur selten Gebrauch.
In der Chemieindustrie im Westen können Betriebe vorübergehend zehn Prozent weniger zahlen, als der Tarif festlegt, wenn sie sich in schwieriger wirtschaftlicher Lage befinden. Von 1.700 Betrieben machten bislang 26 Unternehmen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Gewöhnlich werde im Gegenzug von den Betrieben verlangt, während der Lohnabsenkungszeit auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, erklärt Michael Dennecke, Sprecher der IG Chemie.
In der Textil- und Bekleidungsindustrie im Westen können Tariferhöhungen ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn es dem Betrieb schlecht geht. Von 1.600 Betrieben nutzten nicht mal 140 diese Chance. Auch hier seien es deshalb so wenige, weil der Lohnverzicht mit einer Beschäftigungssicherung gekoppelt ist, meint Peter Donath, Tarifexperte des Bereichs Textil- und Bekleidung in der IG Metall.
In mehreren Metall-Tarifbezirken im Westen gibt es schon seit Jahren Sonderfallregelungen, nach denen beispielsweise die Zahlung des Weihnachtsgeldes ausgesetzt oder die Arbeitszeit verlängert werden kann, um einen Betrieb in Not zu entlasten. In Nordrhein- Westfalen nützten nur elf Betriebe diese Sonderfallregelung. Im Osten können bedrohte Metall- Unternehmen von der sogenannten Härtefallregelung Gebrauch machen und unterhalb des Normaltarifs zahlen.
Die Krux all dieser Öffnungsklauseln liegt nur zum Teil darin, daß die Arbeitgeber in der Regel im Gegenzug ihren Beschäftigten gegenüber Jobgarantien aussprechen müssen. Ein zweites Hindernis ist die Angst vor Stigmatisierung als „bedrohter Betrieb“ – auch vor den Banken und Gläubigern –, wenn ein Unternehmer seine eigene schlechte Lage öffentlich machen und sich in die Bücher schauen lassen muß. Barbara Dribbusch
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