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Jede Menge „Jutes Licht“

Neues aus der Glühbirnenforschung: Zum Beispiel der Berliner Licht- und Lampendesigner Stiletto. Einleuchtende Anmerkungen und Hinweise zur Produktpalette  ■ Von Helmut Höge

Die Glühbirne kommt physikalisch dem Sonnenlicht am nächsten. Als die elektrische Beleuchtung zum Wohnstandard gehörte, wurde die Gestaltung dieser Lichtquelle zu einem Problem. Gerhard Hauptmann ließ noch die nackte Glühbirne, die Emil Rathenau ihm samt Installation geschenkt hatte, über seinem Schreibtisch baumeln und wechselte sie nie aus. Heute vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Produkt mit diesem Symbol für Aufklärung, Fortschritt, Idee, Erfindergeist, Innovation und Sozialismus beworben wird.

Indem man immer neue Verkleidungen erfindet, um aus der Lichtquelle eine Leuchte zu machen, werden die Glühbirne und ihre technologischen Nachfolger in den Wechsel der Moden einbezogen. Barbara Lippold, Besitzerin der Firma Diamant-Leuchten, gestand mir einmal, daß für sie die nackte Glühbirne immer noch der schönste Leuchtkörper sei. Schon Ernst Bloch hielt 1935 dafür, daß sie aufklärungskräftiger als etwa Voltaire sei, „denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes“.

Kürzlich rief ich die Leuchten- Unternehmerin erneut an, um mit ihr über Lampen zu lästern, sie erzählte mir jedoch: „Ich habe endlich meine Firma verkauft und gerade, Sie werden es mir nicht glauben, mit 61 noch, eine Lehre als Töpferin angefangen. Mit Leuchten habe ich nichts mehr zu tun.“ Ich wandte mich deshalb an einen Newcomer: den Berliner Lampendesigner Stiletto. Er hatte es – ganz im Sinne der Glühbirnenmetapher – seit 1980 unter dem Westberliner Label „Geniale Dilettanten“ zu einigem Erfinderruhm gebracht und firmiert seit einigen Jahren als Hersteller und Vertreiber von „Elektrolicht- und Geistesgegenständen“. Sein zu einem Sessel umgerüsteter Einkaufswagen namens „Consumers Rest“ gilt inzwischen als die Designikone der achtziger Jahre. Stiletto selbst spricht von Anti- und No-Design. Mit seiner gewerblichen Konzentration auf Lampen ging eine gewisse Selbstaufklärung über die eigene Wirtschaftlichkeit einher: „Anfangs haben die Leuchtenfirmen noch gelacht über uns, jetzt ist es einigen bereits vergangen.“

Eine Hamburger Zeitschrift, die sich mit der avantgardistischen Internationale der „Situationisten“ beschäftigt, bezeichnete Stiletto schon als „Ausbeuter von Möbeldesignern“ und den „einzig reichen Jungunternehmer“ unter ihnen – den sogenannten Neoisten. Stiletto fühlte sich dadurch geschmeichelt. Als seinen „Meister“ betrachtet er neben Nam June Paik den Sechziger-Jahre-Lichtdesigner Ingo Maurer. „Der sitzt fest im Sattel, sein Humor ist gut und seine Produkte auch. Da steckt ein guter Geist drin. Berühmt machte ihn das Halogen-Seilsystem, mit dem wir uns jetzt alle rumzuschlagen haben.“

Die Niedervoltgeneration, von Jean Baudrillard als „Euro-Yuppies“ verspottet, erhellt damit ihren Weg! Stiletto bleibt der Glühbirne treu, selbst Energiesparlampen verwendet er nur, um sich über sie lustig zu machen. Er hängt sie an ein Hanfseil (Pendel) und steckt sie in einen Jutesack: „Derart wird die Energieersparnis der Sparlampe augenfreundlich weggedimmt.“ Heraus kommt: „Jutes Licht!“ – so der Name seiner preiswerten Flurleuchte für „unter 50 DM“.

Neben dem Ökowitz in Form eines Stilrecyclings favorisiert das Leuchtenprogramm 1999 aus dem Hause Stiletto noch situationsbedingt das „Rezessionsdesign“. Die neue Leuchte „Ike A. Jones“ zum Beispiel besteht bloß aus einer Birne in einem Holzkasten – aus dessen vier Wänden Birnenumrisse rausgesägt wurden, durch die das Licht fällt. Das Ganze kostet 98 Mark. Erwähnt sei ferner die „Revolverserie“: Kronleuchter, die aus einer Glühbirne in der Mitte und acht bis zehn drumherum bestehen. Nur die mittlere brennt, die außenrum sind Ersatzbirnen, durch die das Licht sich bricht: „Alles strahlt – einer zahlt!“ Je nach dem Winkel ihrer Fassungen heißen die Leuchter „Nobody Göbel“, „Edison Holiday“ und „Doc Binninger“. Alle drei waren Glühbirnenerfinder. Dieter Binninger lernte Stiletto sogar noch persönlich kennen. Der Weddinger Multiunternehmer erfand in den Siebzigern die fast unsterbliche Glühbirne: Sie brannte 150.000 Stunden – 42 Jahre. So lange hielt auch die DDR, die Binninger für seine Erfindung den Namen „Langlebensdauerglühlampe“ lieh. Bei der Glühbirne ist alles überdeterminiert! Gerade wird zum Beispiel die zu einer Business-Immobilie umgerüstete erste Glühbirnenfabrik von Emil Rathenau in der Berliner Schlegelstraße mit einem Konzept vermarktet, das zwei von Thomas Pynchons „Glühbirnenkartell“-Aufklärung erhellte Kulturwissenschaftler der Humboldt- Universität erstellen.

Auch seine inzwischen umfangreichste Serie, „Biegsame Wohnraumleuchten“, ist noch insofern Rezessionsdesign, als man meint, sie mit einigen Artikeln aus dem Heimwerkermarkt sofort billig nachbauen zu können. Sein Renner ist das sogenannte Glühwürmchen, von dem bereits mehr als 5.000 Stück verkauft wurden. Es wird einfach in die Steckdose gedrückt, und fertig ist die Leuchte – „mit einem roten Wippschalter“. Im wesentlichen besteht sie aus einem doppelt metalligen Lichthalterschlauch, Schwanenhals genannt. Das teuerste Objekt in dieser Serie ist das „Helferlein“ des berühmten Dunkellicht-Erfinders Daniel Düsentrieb, es kostet 290 Mark und heißt bei Stiletto „Light Companion“. Einmal wurde es ihm bereits raubkopiert. Ebenso das flexible „Glühwürmchen“ – in seiner sechsarmigen Variante als Deckenbeleuchtung. Obwohl an sich jeder Plagiatur wohlgesonnen, ging Stiletto gerichtlich dagegen vor: „Unsere ganzen Ready-mades sollten eigentlich immer nur ein Kommentar auf den Kommerz sein, aber man ärgert sich dann doch über den Verkaufserfolg der anderen!“

Dem Bricolleur ist nichts zu schwör. Stilettos „ErVolks-Kronleuchter“ besteht im Kern aus einer Drehung des „Abendmahls“ – einer Installation von Hans Hollein, bei der die religionsstiftende Tischrunde durch Glühbirnen dargestellt wurde. Die des Verräters Judas war ausgeknipst. Bei Stilettos Lampe ist die Anordnung nun genau umgekehrt. Auf einer Konsumgütermesse in Frankfurt entdeckte er 1994, daß ein Engländer dieselbe Blumentopfleuchte wie er anbot: das englische „Pflanzlicht“ kostete zudem bloß 30 Mark (statt 99). „Am letzten Messetag bin ich an seinen Stand gegangen und habe ihm sämtliche Blumentöppe zerkloppt – mit Hammer und Presseblitzlichtgewitter, inzwischen haben wir uns aber wieder vertragen.“

Für Stiletto ist jedes Product deplacement auch ein Vorgang des Authentizitierens: „Man macht die Dinge so, daß sie aussehen, wie man meint, daß sie früher immer ausgesehen haben.“ Dies ist zum Beispiel der Fall bei seinen „Amtlichen Allzweckleuchten“, die nach vier TV-Kommissaren beziehungsweise ihren Assistenten „Erwin“, „Horst“, „Harry“ und „Stefan“ heißen. Hierfür tat Stiletto sich mit einer Schweinfurter Firma zusammen, die 1923 die ersten Arbeitslampen hergestellt hatte. Sie sehen jetzt sehr schick und edel aus, nicht zuletzt dank Stilettos Verbesserung nach Art einer Ars kombinatorik: Metallkippschalter, „leider ein sauteures Produkt“. Aber es atmet den Geist einer „alternativen Produktkultur“.

Dieser breitet sich unter anderem durch Frauenzeitschriften aus, über die Stilettos Leuchten sich denn auch am besten verkaufen. Neuerdings hat er für schnelle erotische Arrangements sogar ein paar Kerzenständer im Angebot. Merke: Auch Wachskerzen arbeiten mit Lichtgeschwindigkeit!

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