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Hip mit der Geste 2000 Von Joachim Frisch

Germanistikstudentinnen benutzen sie in Studentenkneipen, Vorstadtbuchhändlerinnen beim Plausch über den neuen Grisham, Harald Schmidt im Fernseher, um diejenigen zum Lachen zu bringen, die Germanistikstudentinnen und Buchhändlerinnen doof finden: die Gänsefüßchengeste.

So funktioniert sie: Hände auf Ohrenhöhe, Handflächen nach vorne, als gäbe man dem Fahrer eines Lieferwagens eine Haltezeichen, aber nur die beiden Mittel- und Zeigefinger nach oben strecken und diese zweimal blitzschnell, wie beim Doppelkick auf die Maus, in die Faust fallen lassen. Dabei Dinge sagen, die nicht so gemeint sind. Die Gänsefüßchengeste rahmt nämlich nicht die wörtliche Rede ein, wie dies ihr schriftliches Pendant tun soll, sondern wird wie in Zeitungen verwendet, bedeutet also, sozusagen oder: Achtung, Ironie. Besonders Gewiefte legen vor dem entsprechenden Begriff eine kurze Sinnpause ein, es folgt die Gänsefüßchengeste und, Trommelwirbel, das in Anführungszeichen gesetzte Wort.

Die Germanistikstudentin sagt etwa: „Walser hat sich da ja was Pause, Gänsefußgeste geleistet.“ Sie will sagen: Eigentlich kostet es ja gar nichts, neunmalklug daherzuschwätzen. Die Buchhändlerin sagt: „Der Dietmar, der soll bleiben, wo der Gänsefußgeste, Pause wächst.“ Sie will sagen: Es geht ja nicht um den Pfeffer, er kann von mir aus auch da bleiben, wo die sibirische Mönchsmoosflechte dümpelt.

Wen juckt's, wenn Sprachpuristen und Dudendogmatiker die Nase rümpfen? Gesten sind nun mal trendy. Deshalb habe ich in Rosis Bar bereits die Gesten der Jahre 1999 und 2000 vorgestellt, für die ich hiermit Urheberschutz anmelde.

Die Geste des Jahres 1999 ist die Klammer. Sie geht so: Sage einen Satz mit Klammer, zum Beispiel: „Doris Köpf (Kanzlergattin und ehemalige Focus-Journalistin) besuchte gestern in Begleitung eines früheren Kollegen die Kö in Düsseldorf. Hat sie ihren Gerdi satt?“ Fahre nach dem Wort Köpf und nach dem Wort Journalistin mit ausgebreiteten Händen an den Seiten eines imaginären Fasses auf und ab. Wenn du zudem ausdrücken möchtest, daß der angebliche Kollege eigentlich eher ein Verehrer und Gerdi ein Spitzname ist, so setze die Worte Kollege und Gerdi in gestische Gänsefüßchen. Gebe schließlich der Frageform des letzten Satzes Nachdruck, indem du das Fragezeichen, die Geste des Jahres 2000, wie folgt darstellst: Ziehe während dese Wortes „satt“ die Schultern hoch, hebe die linke Faust vor die Stirn und stelle einen mit der rechten Hand angedeuteten Sichelmond aufrecht über die Faust.

Jetzt üben wir das ganz im Zusammenhang: Doris Köpf – am Faß auf und ab fahren – Kanzlergattin und ehemalige Focus-Journalistin – erneute Faßgeste – besuchte gestern in Begleitung eines früheren – doppelter Mausdoppelklick in Ohrenhöhe – Kollegen die Kö in Düsseldorf. Hat sie ihren Gerdi – Schulterzucken, Faust, Sichelmond – satt?

Sehr schön. Übe nun selbständig den Satz: Wann geht Schröders „Perle“ (sie sorgt sich um seine Gesundheit) zum „Kieferklempner“?

Laß dich nicht davon beirren, daß ich in Rosis Bar auf das Unverständnis des Rausschmeißers gestoßen bin. Das ist das Los der „Pioniere“.

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