: Die Alster-Räuber
Spektakel über Klaus Störtebeker auf der Binnenalster macht die Nachfahren seiner hanseatischen Widersacher kopflos ■ Von Sven-Michael Veit
Klaus Störtebeker läßt sich nicht unterkriegen. Knapp 600 Jahre, nachdem die Mächtigen der stolzen Hansestadt an der Elbe Auen ihm das Haupt vom Rumpfe trennen ließen, wiederaufersteht Hamburgs berühmtester Seeräuber. Und sucht – überlebensgroß und computergesteuert – die Nachfahren derer heim, die ihn im Oktober 1400 auf dem Grasbrook hinrichteten.
Ein Störtebeker-Spektakel, das der Hamburger Kultur-Manager Hans-Günter Willerscheidt am 25. Juni auf der Binnenalster unter der musikalischen Leitung des früheren Hamburger Generalmusikdirektors Prof. Gerd Albrecht zur Welturaufführung bringen will, irritiert die Politiker der Hansestadt. Denn für den Feuerzauber auf dem Wasser mit Pyrotechnik und Pontons, Laserstrahlen und Lichtkanonen, Fallschirmspringern und Fackelschwimmern soll an jeweils sechs Sommer-abenden zwischen 1999 und 2001 die Öffentlichkeit von der Binnenalster ferngehalten werden.
Ballindamm, Jungfernstieg und Neuer Jungfernstieg würden mit Baugittern abgesperrt, die sich nur jenen erhofften 200.000 Menschen öffnen, die 50 Mark für den „Bühnenzauber vor der Naturkulisse“ zu löhnen bereit sind. Die anderen müßten draußen bleiben. Kommt nicht in Frage, meinen in Sonderheit die grünen unter denen, die inzwischen die Geschicke dieser Stadt bestimmen.
Und so versammelte sich denn gestern nachmittag im noblen Gästehaus des Senats an der Schönen Aussicht in Uhlenhorst (mit unverbautem Blick auf Außenalster und Feenteich) eine illustre Schar zum Großen Ratschlag. SenatorInnen, StaatsrätInnen und FraktionschefInnen der Bürgerschaftsparteien sowie Präsidenten, Direktoren, Vorsitzende und sonstige Repräsentanten aus Kammern, Gewerkschaften, Sport, Einzelhandel, Tourismus, Medien und 5-Sterne-Hotels wohnten bei Kaffee und Keksen der Präsentation bei, die den „Mythos des Likedeelers“ zu beschwören sich bemühte.
Nur einer war, da nicht eingeladen, ortsabwesend und doch allgegenwärtig. Ein kürzlich abgewählter Erster Bürgermeister dieser Stadt war 1997 dem Vorhaben so zugeneigt gewesen, daß er die ihm angetragene Schirmherrschaft über des Freibeuters digital-monumentale Wiederauferstehung übernahm. Und sie seinem Nachfolger hinterließ, der nun zusehen muß, wie er das Erbe, das offiziell noch nicht genehmigt wurde, staatsmännisch-diplomatisch bewältigt.
Voll sprühender Emphase versuchte Kulturmanager Willerscheidt dem Runden Tisch seine zehn Millionen Mark teure Performance am fünf mal fünf Meter großen Modell schmackhaft zu machen. Er wolle „das Theater in die Stadt bringen“, dorthin, „wo das Leben pulsiert und die Menschen zu Hause sind“, schwärmte Willerscheidt. Und wer sei als Hauptfigur des Kulturhumanismus auf „ur-hanseatischem Gewässer“ geeigneter als Störtebeker, „der tollkühne Seeräuber, der den Reichen nahm und den Armen schenkte“, der „die Freiheit der Meere“ personifiziert und – kopflos zwar, doch mit unbeugsamem Willen – elf seiner Gefährten rettete?
Die nicht zu unterschätzende Förderung des Tourismus „gerade auch im Expo-Jahr 2000“ wurde von den sieben Damen und 23 Herren im Gästehaus erwogen, der Erlebnischarakter an lauen Sommerabenden wie auch die „Akzentuierung der Bedeutung der Kulturmetropole und Event-City Hamburg“ hervorgehoben oder bezweifelt. Probleme für den Autoverkehr und Unmengen hinterlassenen Abfalls wurden prognostiziert sowie die zeitweise Nicht-Zugänglichkeit des öffentlichen Raums um die Binnenalster, die doch allen HamburgerInnen gehöre, kritisch hinterfragt.
Und schließlich alles verschoben. Frühestens im Sommer 2000, so der neueste Stand, wird der hanseatischste aller Freibeuter auf der Binnenalster sein Unwesen treiben.
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