Wer erläuft die Super Bowl?

Denvers Running Back Terrell Davis wird das NFL-Finale entscheiden – oder Atlantas Running Back Anderson  ■ Von Thomas Winkler

Sie könnten kaum unterschiedlicher sein. Der eine redet nicht viel, der andere sagt von sich selbst, er sei „großspurig und schwatzhaft“. Der eine wuchs in einem Ghetto in San Diego auf, dem anderen führte Muhammad Ali in seiner Kindheit Zaubertricks vor. Der Vater des einen war ein gewalttätiger Alkoholiker, der Vater des anderen ist durch seine Bodyguard-Firma befreundet mit Richard Pryor, Sugar Ray Leonard, diversen Jacksons oder Donna Summer. Momentan arbeitet Pappa Anderson für Mike Tyson.

Befreundet sind Terrell Davis und Jamal Anderson trotzdem. Sie lernten sich kennen, weil Anderson im College mit einem Schulfreund von Davis zusammen spielte. „Seitdem telefonieren wir hin und wieder“, erzählt Davis. Und verschweigt, worüber.

So verschieden die beiden auch sein mögen, neben dem Alter verbindet sie zumindest eines: Keinem wurde eine große Chance bei den Profis eingeräumt. Davis (26) wurde erst in der sechsten Runde des Drafts 1995 von den Denver Broncos ausgewählt, als 21. Running Back und insgesamt 196. Spieler in diesem Jahr. Ein Jahr zuvor hatte die Familie Anderson eine Party in ihrem kalifornischen Zuhause anberaumt. Als Jamal Anderson am zweiten Tag des Drafts in der siebten und letzten Runde gezogen wurde, gab es nichts mehr zu feiern. „Um über so etwas hinwegzukommen“, sagt Anderson (26), „braucht man eine ganze Karriere lang.“ Er arbeitet dran.

Inzwischen gehört er zu den beiden besten Running Backs, die der Football zu bieten hat. Davis erlief in der regulären Saison erst als vierter Spieler in der NFL-Geschichte mehr als 2.000 Yards, Anderson schaffte immerhin noch 1.846. Das macht sie zu den zentralen Figuren in der Offensive ihrer Mannschaften. Denn wie die meisten Trainer sind auch Denvers Headcoach Mike Shanahan und Atlantas Dan Reeves der festen Überzeugung, daß eine Meisterschaft nur gewinnen kann, wer den Ball durch das Laufspiel vielleicht nicht spektakulär, aber systematisch und verläßlich nach vorne bringen kann. Pro Spielzug mag man immer nur drei bis vier Yards gewinnen, aber Kleinvieh macht auch Mist. Wenn der Lauf erst einmal erfolgreich ist, wird die gegnerische Verteidigung mehr Spieler nach vorne ziehen, um ihn zu stoppen. Das öffnet Räume für die Paßempfänger.

Bernd Begemann hat wahrscheinlich keine Ahnung von Football, aber recht, wenn er singt: „Alles hängt mit allem zusammen.“ Ist der Lauf nicht erfolgreich, kann sich die Verteidigung auf den Paß konzentrieren. Und umgekehrt. Da aber das Paßspiel immer riskanter ist als der Lauf, weil ein geworfener Ball schneller mal beim Gegner landet als ein getragener, beginnt alles mit dem Lauf. Gegen diesen ehernen Grundsatz spricht allerdings, daß diese, die 33. Super Bowl morgen in Miami (23.20 Uhr, Sat.1) trotzdem die erste ist, in der die beiden erfolgreichsten Running Backs der Saison aufeinandertreffen.

Es gibt zwei Arten von Running Backs. Zum einen eher kleine, wendige Spieler, die durch die Löcher schlüpfen, die ihnen die Offensive Line freiblockt, und dann versuchen, den Verteidigern durch schnelle Richtungswechsel auszuweichen. Zum anderen kräftige, oft auch große Running Backs, die von einem einzigen Verteidiger kaum aufzuhalten sind und eine Verteidigung im Laufe eines Spieles müde laufen können. Anderson ist der momentan erfolgreichste Vertreter des zweiten Typus. Zwar sagt sein Teamkollege Bob Whitfield über ihn: „Der läuft niemandem davon.“ Aber kein anderer Spieler hat in dieser Saison den Ball so oft in die Hand bekommen wie der Running Back der Falcons.

Sein Durchschnitt pro Lauf ist nicht allzu hoch, aber im vierten Viertel, wenn die Verteidiger durch das ständige Anrennen müde und angeschlagen sind, kann er immer öfter für großen Raumgewinn durchbrechen. Ein Effekt, der sich in den Play-offs am Ende einer langen Saison noch verstärkt.

Davis dagegen ist momentan der Beste seiner Zunft und auf dem unaufhaltsamen Weg in die Hall of Fame, weil er die besten Eigenschaften beider Entwürfe fast idealtypisch vereint. Er ist schnell und berüchtigt für seine abrupten Wendungen, aber auch kräftig genug, einen Tackler abzuschütteln. „Er hat absolut keine Schwächen in seinem Spiel“, sagt Shanahan über seinen wichtigsten Mann, der zum wertvollsten Spieler (MVP) dieser Saison gewählt wurde.

Ausführlich spekuliert wird vor jeder Super Bowl um die emotionalen Voraussetzungen. Diesmal: Sind die Falcons besonders motiviert, weil ihr Headcoach Dan Reeves erst vor sechs Wochen einen vierfachen Bypass gelegt bekommen hat? Rächt sich Reeves an Denvers Quarterback John Elway, weil der ihn 1991 nach erfolgreichen Jahren als Broncos-Chefcoach angeblich hat feuern lassen? Rächt sich der jetzige Broncos- Coach Shanahan an seinem ehemaligen Chef Reeves, der ihn als Assistenten in Denver rausschmiß, weil er ihm Kungelei mit Elway unterstellte? Müssen die Broncos gewinnen, weil es höchstwahrscheinlich Elways letztes Spiel sein wird?

Doch wahrscheinlich braucht niemand eine besondere Motivation für die Super Bowl. 60 Minuten alles oder nichts, danach ist eh erst mal ein halbes Jahr Pause, um alle Verletzungen, körperliche wie seelische, auszukurieren. Schlußendlich wird es wie immer auf eine Frage hinauslaufen: Wer läuft besser? Davis oder Anderson?