: Alles öko. Oder nicht?
■ Auf ökologische Weise Strom zu produzieren ist kein Problem. Doch landet er zunächst im großen Pool. Wie findet er in die Steckdosen?
Egal wo elektrische Energie produziert wird: Sie ist an Leitungen gebunden. Die Verbindungen zwischen Kraftwerken und Verbrauchern bilden das Netz. Außer den in der Landschaft nicht zu übersehenden Freileitungen gehören zum Netz auch Erdkabel und zahlreiche elektrotechnische Bauelemente. Anders als Öl, Wasser und Gas kann elektrische Energie nicht im großen Stil gespeichert werden, sie muß im selben Augenblick erzeugt werden, wenn der Verbraucher sie benötigt. Die Kraftwerke müssen deshalb immer genau soviel Strom liefern, wie im selben Moment von den Verbrauchern angefordert wird.
Im Netz der Stromversorgung gibt es vier Spannungsebenen: das Höchstspannungsnetz (220/380 Kilovolt), das Hochspannungsnetz (110 kV), das Mittelspannungsnetz (20/10 kV) und das Niederspannungsnetz (230/400 Volt). Über das Höchstspannungsnetz wird der Strom international verteilt. Das Hochspannungsnetz versorgt Regionen, Ballungszentren und große Industriebetriebe. Das Mittelspannungsnetz liefert den Strom an die Transformatorstationen des Niederspannungsnetzes, aus dem wiederum Haushalte, Industrie und Gewerbe mit elektrischer Energie versorgt werden.
Das Höchstspannungsnetz in Deutschland umfaßt 17.100 Kilometer für 380 kV und 23.100 Kilometer für 220 kV. Acht große Verbundunternehmen, unter anderem RWE und VEW, betreiben das Netz. Sie lieferten bisher an 54 regionale Stromversorger und rund 900 Stadtwerke den größten Teil des Stroms. Eine ökologisch einwandfreie Versorgung aus der Steckdose mit Naturstrom ist physikalisch nur dann gewährleistet, wenn der Ökostrom erzeugernah verbraucht wird: Legt ein Windmüller von seiner 250-Megawatt- Anlage eine Leitung zu seinem Hof, liefert ihm das kleine Kraftwerk zu 100 Prozent sauberen Strom. Wird die Windenergie ins öffentliche Netz eingespeist, fließt der Ökostrom in einen großen Topf. „Es ist eine fast philosophische Frage, ob der Strom, der losgeschickt wird, derselbe ist, der beim Verbraucher ankommt“, sagt Torsten Reetz, Energieexperte der Verbraucherzentrale in NRW.
Im Klartext: Beim Produkt Strom handelt es sich um sogenannte reine Energie, die ins Netz gespeist wird. Vergleichbar mit einem Wasserreservoir wird aus vielen Quellen exakt soviel Wasser eingefüllt, wie im selben Augenblick an anderen Stellen entnommen wird. Insgesamt muß das System, damit es nicht zusammenbricht, durch die mengen- und zeitgleich erfolgende Einspeisung und Entnahme im Gleichgewicht bleiben. Die Erzeugung von Strom muß exakt dem Verbrauch angepaßt sein. Der Wasserspiegel im Reservoir – sprich Netz – darf trotz unregelmäßiger Entnahmen um keinen Millimeter schwanken. Denn sonst würde die Netzfrequenz aus dem genau vorgeschriebenen Takt von 50 Schwingungen pro Sekunde (Hertz) geraten und das Netz der Stromerversorgung zusammenbrechen.
Die exakte Anpassung der Stromerzeugung an den Verbrauch ist Aufgabe der Verbundunternehmen, die neben den Großkraftwerken (Atom und Braunkohle) für die „Grundlast“ auch über schnell einsetzbare Kapazitäten für die „Mittellast“ (Steinkohle) sowie sekundenschnell startende Kraftwerke zur „Spitzenlast“ (Gas) verfügen. Für die Einspeisung von Ökostrom heißt das: Die über die Leitungen verschickten Elektronen können nicht mit dem Logo „Made by öko“ versehen werden. Dies ginge nur, wenn die Produzenten neue Leitungen und Netze bauen würden. Also fließen die „Öko-Elektronen“ durch das bestehende Netz – bundesweit eine verschwindend kleine Anzahl, wobei in manchen Regionen Deutschlands, wo der Wind kräftig bläst, die Öko- Elektronen schon die Überhand gewannen. Sehr zum Ärger der etablierten Stromkonzerne, die die Windenergie am liebsten wieder aus dem Netz verbannen würden.
Das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ist seit neun Monaten in Kraft. Das Ziel, den Markt für neue Anbieter zu öffnen und damit für Konkurrenz zu sorgen, hat es nur ansatzweise erreicht. Das Öko-Institut Freiburg kritisiert vor allem, daß den Anbietern von Strom aus erneuerbaren Quellen der Zugang zum Netz erschwert werde. Deshalb fordern die Wissenschaftler die rot-grüne Regierung in Bonn auf, rasch neue Zugangsregelungen zum Stromnetz zu verabschieden. Erstens sei die Durchleitungsgebühr für umweltfreundlichen Strom auf zwei Pfennig pro Kilowattstunde zu begrenzen. Zweitens sollte sie frei von entfernungsabhängigen Komponenten sein, und drittens empfehlen die Energieexperten, auf die Gleichzeitigkeit von Einspeisung und Entnahme vorerst zu verzichten. Das Öko-Institut befürchtet, daß „grüner Strom“ nur ein Schattendasein in einem liberalisierten Strommarkt führen kann, falls es nicht zu Änderungen kommt. Greenpeace hat ein anderes Netzzugangskonzept für eine saubere Versorgung vorgestellt. Das wesentliche Element ist, daß eine Versorgung auf Basis standardisierter „Normganglinien“ erfolgen soll, die über den zeitlichen Verlauf des Stromverbrauchs bei den Kunden repräsentativ Auskunft geben. Auf Grundlage dieser Daten kann die Zeitgleichheit zwischen Stromerzeugung und -verbrauch sichergestellt werden. Auf aufwendige Messungen im Viertelstundentakt – wie in der Verbändevereinbarung gefordert – kann so verzichtet werden. Der Vorschlag von Greenpeace ist sogar beim VDEW positiv angekommen. Michael Franken
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