piwik no script img

Bodhisattwa über der Lotusblume

Von der Mode zur Zeremonie. Mariko Moris „Esoteric Cosmos“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Sie bezieht sich auf die Ikonographie der buddhistischen Götterwelt. Die Künstlerin als kosmologische Führerin und Verführerin, Ironieverluste inklusive  ■ Von Brigitte Werneburg

Nichts ist so erhellend wie das Internet. Fahndet man dort nach Mariko Mori, so findet man sie auf der Homepage von Gary Smith in Indiana: neben Naomi Campbell und Cindy Crawford ist sie sein Lieblingsmodel. Gleichzeitig ist Mariko Mori die Lieblingskünstlerin von Gijs van Tuyl, jedenfalls zur Zeit. Der Direktor des Kunstmuseum Wolfsburg hat sie, in Kooperation mit der Serpentine Gallery in London, für ihre erste Einzelausstellung im deutschsprachige Raum in die Autostadt geholt.

Elf Arbeiten aus den Jahren 1995 bis 1998 sind im Obergeschoß des Museums im Silbermetallic- High-Tech-Look aufgebaut. Als erstes begegnet man Mariko Mori in einer 3-D-Fotoinstallation, in der sie mit riesigen Kopfhörern bewaffnet zwischen leuchtend bunten Bällen tanzt und ein japanisches Lolita-Pop-Liedchen trällert. Sie ist als niedliche Schulmädchen-Plastikpuppe verkleidet, ein Eindruck, der sich ihrer fleischfarbenen Vinylstrumpfhose verdankt, auf der merkwürdigerweise Kniescheiben und Meniskus in schwarzen Umrißlinien aufgezeichnet sind. Dazu trägt sie weiße Go-Go-Stiefelchen, ein kariertes Paillettenröckchen, und Kontaktlinsen, die ihr das Aussehen einer Außerirdischen geben. Die Arbeit ist von 1995 und trägt den prophetischen Titel „Birth of a Star“.

Mariko Mori ist erst 31 Jahre alt und schon weithin bekannt. Nicht nur in der Kunstwelt – auch in der Männerwelt Indianas. Hätte sich das einstmals vom Shooting Star Cindy Sherman behaupten lassen, als deren aktualisierte Fassung Mariko Mori zuweilen bezeichnet wird? Okay. Eine rhetorische Frage, die aber auf einen entscheidenden Unterschied aufmerksam macht. Wie Cindy Sherman stellt sich auch Mariko Mori ins Zentrum ihrer künstlerischen Inszenierungen. Aber anders als die Amerikanerin, die ihre Bildvorgaben zunächst aus dem Hollywood-Melodram bezog, verweist Mori mit ihren Arbeiten auf die Ikonographie der Mode und der restlos durchgestylten, vollkommen artifiziellen und gerne futuristisch angehauchten Industrie-Design-Welt. Beispielhaft ist dafür ihre sechsteilige Technicolor-Arbeit „Empty Dream“, die sie im „Ocean Dome“, dem größten Allwetter- Wasserpark der Welt situiert hat. Der Sandstrand wurde hier ebenso künstlich angehäuft, wie das Wasser zu künstlichen Meereswellen hochgeschaukelt wird. Und der Himmel ist dem ähnlich, unter dem erst kürzlich Truman Burbank im Kino spazierenging. Nur am Rundhorizont würde man hier nicht ganz so hart anstoßen, weil er aus einem Netz besteht hinter dem die Silhouette von Tokio noch zu ahnen ist. In diesem künstlichen Paradies hat sich Mori als blaugeschuppte mit einer Fiberglas- Schwanzflosse versehene Meerjungfrau gleich vierfach niedergelassen. Das riesige Historiengemälde erinnert an Georges Seurats „Badende in Asnières“.

Mariko Mori, die vor ihrem Kunststudium zunächst Modedesign lernte und eben auch als Model arbeitete, verband in ihren frühen Arbeiten – die in Wolfsburg nicht zu sehen sind – diese Schöne- Neue-Welt-Ästhetik mit der dienenden Rolle der japanischen Frau. An Orten wie U-Bahn, Spielhalle oder Bürogebäude präsentierte sie sich als eine Art liebreizende Cyborg-Geisha, die nur darauf wartete, ihren Mitmenschen (die sie freilich meist ignorierten) einen Dienst erweisen zu dürfen, und sei es nur, ihnen Tee zu servieren. Es kann gut sein, daß Gary Smith auch diese Bilder noch als Mode-Modeling mißverstand. Auch das war eine Intention ihrer frühen Arbeiten.

Inzwischen strebt die Künstlerin Höheres an. Ihre Aufmerksamkeit gilt nicht länger der Welt der Mode, des Techno, der Science-fiction, des Manga-Comic oder der Pop-Musik. Ihre Kritik nimmt jetzt den Weg nach innen, den Weg ins „Reine Land“, „Pure Land“, wie eine Arbeit von 1997 heißt. Hier ist es die Ikonographie der buddhistischen Götterwelt, auf die sich Mariko Mori bezieht. Als Bodhisattwa schwebt sie über der Lotusblume, umgeben von einem Engelsorchester musizierender Cyber-Putti. Die fröhlichen Marsmännchen mit Flöte, Becken und Rasseln stellen ein Orchester von Apsaras dar und gehen auf die Darstellung der 52 Bodhisattvas im Relief der Hôô-dô-Halle im Byodo-In-Tempelkomplex in Kioto zurück.

„Pure Land“ ist eines von vier monumentalen Fotopanoramen, die gemeinsam mit dem Ausstellungsraum selbst, welcher die Leere repräsentiert, die fünf Elemente des „Esoteric Cosmos“ bilden. Im Osten findet sich das Element Luft: „Entropy of Love“ verbindet drei Landschaftsfotografien, die Painted Desert und die Biosphäre II in Arizona sowie einen Windpark in Kalifornien. An der Westwand hängt der „Mirror of Water“, die Aufnahme einer Tropfsteinhöhle in Frankreich, während die Landschaft des „Burning Desire“, das natürlich im Süden aufkommt, aus der Wüste Gobi stammt. Im Norden schließlich schließt sich der Kreis mit „Pure Land“. Das Element der Erde wird vom Panorama des Toten Meeres in Israel vertreten, auch weil Salz in der buddhistischen Lehre als spirituelles Reinigungsmittel gilt. In allen Fotografien taucht die Künstlerin als kosmologische Führerin und Verführerin auf.

Die Arbeiten waren in der einen oder anderen Form schon zu sehen, so das Video „Nirvana“, das die Fotografie „Pure Land“ in die dreidimensionale Bewegung bringt, auf der Biennale in Venedig 1997. Im gleichen Jahr stand in Lyon der Rundbau „Link of the Moon“. Auf den fünf kleinen Flachbildschirmen in seinem Innern tritt die Künstlerin als betendes Schamanen-Mädchen auf, das in seinem weißen Glanzanzug mit den Luftkissenflügeln auf Renzo Pianos Kansai-Flughafen bei Osaka gelandet ist. Aktuell ist dagegen die Videoinstallation und Fotoarbeit „Kumano“ (1998). Mori führt die Betrachter durch den japanischen Bergwald an den berühmten Nachi-Wasserfall, um dort in den computeranimierten „Dream Temple“ zu gelangen, wo sie eine Teezeremonie durchführt. Statt Tee wird Licht getrunken, das Mori aus einer Kanne schöpft, die von Philippe Starck sein könnte.

Doch der Weg ins spirituelle Innere führt nicht in die Tiefe. Der Gewinn an buddhistischem New Age wiegt den Verlust von Ironie und Kritik nicht auf. Die zweifellos ungeheuer intelligent und aufwendig inszenierten Arbeiten schleppen eine Produktionsliste von Fotografen, Regisseuren, Komponisten, Kostümbildnern, Make-up- Artisten und Teezeremonie-Beratern – nicht zu vergessen Sponsoren – hinter sich her, wie sie sonst nur vom Filmabspann bekannt ist. Doch mit diesem Aufwand wirken sie die High-Tech-Version der Pompierkunst des 19. Jahrhunderts. Salonkunst 2000.

Bis 9. Mai 1999, Kunstmuseum Wolfsburg, Porschestraße 53

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen