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Der Pensionär, der sich mit Konzernen anlegt

Kurt Markert setzt im Ruhestand fort, was ihn während der Berufszeit beim Bundeskartellamt begeisterte: Er wirft Unternehmen Knüppel zwischen die Beine und kämpft für die Verbraucher. Ein Portrait  ■ Von Hannes Koch

Ein genervter Unterton schwingt zwischen den Zeilen. Man werde das Anliegen prüfen und sich beizeiten wieder melden, schreiben die Mitarbeiter des Berliner Wirtschaftssenators.

Der Antragsteller, der Pensionär Kurt Markert, liest das dürre Antwortschreiben durch seine dicke Brille, hält das Blatt demonstrativ in die Höhe und kündigt mit verschmitzter Vorfreude an: „Wenn sie mir nicht bald einen positiven Bescheid schicken, werde ich sauer.“ Genußvoll zieht an seinem geistigen Auge schon der weitere Rechtsweg vorbei: Klage vor dem Verwaltungsgericht, einstweilige Verfügung, und alles was die Juristerei sonst noch zu bieten hat.

Immer wieder fällt der 65jährige Markert den Bürokraten im Staat und den Großkonzernen auf den Wecker. Seine mit Paragraphen und Rechtsbelehrungen gespickten Schriftsätze entbehren nicht einer trockenen Eleganz und wandern bei den Adressaten geradewegs in die Rechtsabteilung – dorthin, wo die Spezialisten sitzen. Denn Markerts Briefbomben sind gefürchtet, weil sie schon mehr als einmal größeren Schaden zu Lasten der wirtschaftlichen Eliten der Republik angerichtet haben.

Der Pensionär greift hinter sich, wo unten rechts im Bücherregal eine dicke blaue Schwarte steht. 200 der 2.600 Seiten stammen von Professor Doktor Kurt Markert, Ko-Autor eines wichtigen Rechtskommentars zum Kartellrecht. Das ist die juristische Disziplin, die die Macht von Großunternehmen in gewissen Grenzen hält.

36 Berufsjahre, von 1962 bis zu seiner Pensionierung im Sommer 1998, widmete sich Markert als einer der Direktoren des Bundeskartellamtes eben dieser Aufgabe. Nun verfolgt er sie mit wenig gebremster Vehemenz als Privatmann, Gutachter und Dozent von seinem Arbeitszimmer an der Freien Universität Berlin aus.

Der Ruhestand verleiht Markerts Tätigkeit einen Hauch von Querulanz. Selbst als Privatier kann er nicht lockerlassen. Ab und zu startet er zu Radtouren aufs Land oder spielt Tischtennis. Aber sein eigentliches Hobby ist das Kartellrecht, wissen Exkollegen aus dem Amt. Das neueste Opfer des verheirateten, jedoch kinderlosen Arbeitstieres ist der Berliner Energieversorger Bewag.

Unlängst kündigte Markert dem Strommonopolisten unter großer Anteilnahme der örtlichen Presse an, seine private Energierechnung selbsttätig um zehn Prozent zu kürzen. Vor dem Hintergrund der Liberalisierung des Strommarktes und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen seien die Berliner Strompreise zu hoch, sagt Markert. Schließlich würden Versorger im Berliner Umland ihre KundInnen zu weit niedrigeren Tarifen beliefern. Der Berliner CDU-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner, Dienstherr des zuständigen Landeskartellamts, solle ihn außerdem am Verfahren zur Festsetzung der neuen Bewag-Preise beteiligen, verlangt der Robin Hood des freien Wettbewerbs. Nun brüten Branoners Beamte über einer Antwort, der Markert schon mit Interesse entgegensieht.

Der Hüter des freien Wettbewerbs wäre auch bei der Verbraucherzentrale gut aufgehoben – wenngleich er dort nicht so wirkungsvoll agieren könnte. Markert ärgert zutiefst, daß Unternehmen sich auf Kosten der kleinen Leute über Gebühr bereichern. Nicht so sehr seine eigene Stromrechnung treibt ihn dabei an. „Schauen Sie, ich würde nur 6,50 Mark im Monat sparen“, sagt er und zupft seine Bewag-Abrechnung unter einem Papierstapel hervor. Andere Verbraucher würden da erheblich mehr gebeutelt. „Denken Sie an eine Pizzeria, einen Frisör oder Eigenheimbesitzer mit Nachtspeicherheizung“. Da könnten Tausende Mark Einsparung pro Jahr zusammenkommen, wenn die Stromunternehmen den Preismißbrauch einstellten.

Zum Kartellrecht kam Markert eher zufällig. Nach seinem Jura- und Volkswirtschaftsstudium erhielt er ein einjähriges Stipendium in New York. Dort belegte er einen Kurs in US-amerikanischem Anti- Trust-Recht, einer Sparte, die im Nachkriegsdeutschland noch weitgehend unbekannt war. Der Dozent forderte Markert auf, ein Referat über das brandneue Kartellgesetz zu halten, das der damalige CDU-Wirtschaftsminister Ludwig Ehrhard 1957 ausarbeiten ließ. Markert hatte damit sein Thema fürs Leben gefunden. 1962 fing er beim Bundeskartellamt in Berlin an und übernahm 1987 die Energieabteilung der Behörde.

Dann legte der hochgewachsene Spitzenjurist richtig los. Denn seit Nazizeiten waren die Versorgungsgebiete der großen Stromunternehmen fein säuberlich voneinander abgegrenzt – in ihren Königreichen konnten die monopolistischen Stromkönige tun und lassen, was sie wollten. Kein Konkurrent funkte ihnen dazwischen. Bresche auf Bresche schlug Markerts Kartellabteilung in die Mauern der Großunternehmen.

Mit dem europäischen Recht im Rücken setzte er gegen den RWE- Konzern und die niederrheinische Stadt Kleve durch, daß auch holländische Elektrizitätsunternehmen deutsche Kunden beliefern durften. Weitere Exempel folgten. Kenner der Szene sehen in Markert deshalb einen wesentlichen Vorkämpfer der Energierechtsnovelle, die seit vergangenem Jahr auch in Deutschland die Energieversorger der Konkurrenz aussetzt. – Markert schwört auf den möglichst ungehinderten Wettbewerb in der Marktwirtschaft. Dadurch, so meint er, sei es den KonsumentInnen möglich, das billigste Angebot auszuwählen. Daß dabei mitunter auch Arbeitsplätze verlorengehen, wie gerade bei der Bewag, die nun erstmalig den kalten Wind der Konkurrenz spürt, ist in den Augen des Juristen nicht nur unvermeidlich, sondern sogar von Vorteil. Alte, teure Produkte und Arbeitsplätze zu finanzieren, koste nämlich das Geld jeden Bürgers. Wettbewerb sei gut, argumentiert Markert, auch wenn es die Gesellschaft nicht immer auf Anhieb erkenne.

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