: Ost-Timor droht böses Erwachen
Indonesien schürt mit der Drohung einer plötzlichen Unabhängigkeit Ost-Timors Ängste, um die Unabhängigkeitsbefürworter unter Druck zu setzen ■ Von Jutta Lietsch
Bangkok (taz) – In Ost-Timor wächst die Angst vor einem bösen Ende der indonesischen Herrschaft: Tausende verließen in den letzten Tagen ihre Dörfer, weil sie Überfälle von Gegnern der Unabhängigkeit befürchten. Die meisten suchten Schutz in katholischen Schulen und Kirchen, andere flüchteten bis in die Hauptstadt Dili. Mindestens sechs Ost- Timoresen kamen in den letzten Tagen bei Attacken proindonesischer Milizen ums Leben.
Angeheizt wird der Konflikt durch die Armee: „Das Militär verteilt Waffen an Zivilisten, die Indonesiens Herrschaft unterstützen“, berichtete Clementino Dos Rias Amaral von der indonesischen Menschenrechtskommission am Wochenende. Hunderte von Gewehren seien ausgegeben worden. „Das ist eine sehr gefährliche Situation“, sagte er. Die Milizen bestünden aus unausgebildeten jungen Männern, die „einfach schießen, wenn es ihnen gefällt“. Die Armeeführung rechtfertigt die Bewaffnung der Bürgerwehren damit, daß die Militärs nicht allein mit der separatistischen Fretilin- Guerilla fertig werden können. Das Militär in der früheren portugiesischen Kolonie wird auf 20.000 Mann geschätzt, die Rebellen nur noch auf 300.
In der vergangenen Woche hatte die Regierung in Jakarta überraschend erklärt, sie sei möglicherweise bereit, das 1976 annektierte Ost-Timor schon im Sommer in die Unabhängigkeit zu entlassen. Bislang hatte sich Jakarta stets strikt geweigert, überhaupt über eine Freigabe seiner 27. Provinz zu reden. Präsident B. J. Habibie bot bisher nur eine beschränkte Autonomie an, lehnte aber eine Volksbefragung strikt ab. Die neue Position ist im Militär, aber auch in der indonesischen Opposition umstritten. „Ost-Timor ist Teil Indonesiens“, sagte Megawati Sukarnoputri von der Demokratischen Partei am Samstag. Ebenso wie der prominente Muslimführer Abdurrahman Wahid warnte sie davor, daß sich „der Konflikt zwischen den Ost-Timoresen verstärken und noch mehr Opfer forden könnte“. Am Ende könne ganz Indonesien auseinanderbrechen.
Nach dem ersten Schock über die Kehrtwende von Präsident Habibie reagierten prominente Ost- Timoresen vorsichtig: „Besser spät als nie“, meinte Xanana Gusmao, der in Jakarta inhaftierte Chef der Unabhängigkeitsbewegung. „Indonesien erkennt die Lage endlich an“, kommentierte Carlos Belo, der Friedensnobelpreisträger und Bischof von Dili. Beide warnten jedoch davor, Ost-Timor zu schnell abzustoßen. „Bitte gebt uns Zeit und den Ost-Timoresen der verschiedenen Gruppierungen die Chance, eine gemeinsame Perspektive und Vision zu entwickeln“, sagte Belo.
Denn er weiß: Würde Indonesiens Regierung sich wirklich bald abrupt aus Ost-Timor zurückziehen, hätte dies womöglich katastrophale Folgen. Die Ost-Timoresen sind auf eine plötzliche Unabhängigkeit nicht vorbereitet. Vor allem die Zehntausenden meist muslimischen Zuwanderer aus Indonesien fürchten sich, womöglich einer neuen timoresischen Regierung ausgeliefert zu sein. In Verwaltung und in Betrieben, in Krankenhäusern und Schulen besetzen zugewanderte Javaner die wichtigsten Posten. Einige packen bereits ihre Koffer. Wirtschaftlich hängt die Inselhäfte mit ihren 800.000 Bewohnern am Tropf Indonesiens.
Die Unabhängigkeit muß vorbereitet werden
200.000 Ost-Timoresen und über 1.000 indonesische Soldaten kamen seit dem Einmarsch der Truppen Jakartas in die frühere portugiesische Kolonie 1975 ums Leben. Tausende Ost-Timoresen flohen nach Portugal, Australien oder auch auf andere Inseln Indonesiens. Andere paßten sich an oder versuchten, im Untergrund zu arbeiten. Die Ironie: Als Portugal, das heute als Verteidiger der Ost- Timoresen auftritt, nach der „Nelkenrevolution“ 1974 seine Kolonie plötzlich in die Freiheit entließ, hatte es keine Vorsorge für einen Machtwechsel in Dili getroffen. Ein Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Timoresen endete erst mit dem Einmarsch der Indonesier.
Mit seiner neuen Politik setzt Präsident Habibie die seiner Meinung nach undankbaren Ost-Timoresen unter Druck: Sie sollen die Indonesiens Bedingungen akzeptieren – oder sie werden verstoßen. Damit könnte sich das Drama von 1975 wiederholen.
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