Balkan-Himmel voller Geigen

Nach seiner nationalistisch gefärbten Bürgerkriegsparabel „Underground“ verlegt sich Emir Kusturica mit „Schwarze Katze, weißer Kater“ auf Sinti-Komödien  ■ Von Birgit Glombitza

Nie wieder wollte er drehen. Das ließ Emir Kusturica verlauten, nachdem er wegen seiner serbisch-nationalistisch gescholtenen Bürgerkriegsparabel „Underground“ (1995) auf dem heißen Stuhl der internationalen Kritik landete. Ein Gelübde, daß er schließlich ebenso an den Nagel hängte wie seine Hoffnungen auf ein wiedervereinigtes Jugoslawien, in dem die unterschiedlichen ethnischen Gruppen „viel besser und geschützter leben könnten“. Er drehte „Schwarze Katze, weißer Kater“ und gewann damit, wie mit jedem seiner Filme, einen Festivalpreis (Silberner Löwe 1998). Kusturicas Rückkehr zum Film ist zugleich ein Rückzug in den magischen Realismus der Sinti, den er in den Kulissen eines hier dekorativ verwilderten Osteuropas entspannt.

„Nach ,Underground‘ und all der Polemik, mit der mich vor allem die französischen Zeitungen kübelweise überschütteten, hatte ich die Nase gestrichen voll“, erinnert sich Kusturica, „aber dann wurde mir schnell klar, wenn ich aufhöre, Filme zu machen, ist das dasselbe, als würde ich aufhören zu leben.“

Ein Credo, das in „Schwarze Katze, weißer Kater“ und seiner Hymne auf die Lebensfreude der Sinti sein ungebrochenes Echo findet. Erzählt wird die Geschichte von dem Sinto Matko, der mit einem geklauten Güterzug voller Benzin das Geschäft seines Lebens machen will. Für die Durchführung dieses Plans leiht er sich Geld bei dem Sinti-Paten Grga und bittet den renommierten Gauner Dadan um Mithilfe. Als der Coup auf das tölpeligste scheitert, fordert Dadan als Schadensersatz die Heirat zwischen Matkos Sohn Zare mit Dadans kleinwüchsiger und daher schwer zu verschachernder Schwester Ladybird. Der Handschlag zwischen den Vätern besiegelt ein Chaos, das schließlich in zwei Hochzeiten und zwei Todesfällen gipfelt. Eine lärmende, originelle und sorglos kitschige Komödie also über eine kriegs- und fortschrittsfreie Diaspora, in der eine Sinti-Gemeinde zwischen absonderlichen Maschinen und eigenwilligen Magien ihr Leben als ewiges Fest eingerichtet hat.

Trotz aller Zigeunermusik, den Plot hat Kusturica dennoch dem Leben abgeschaut. Bei der Recherche zu einem Dokumentarfilm über die Musikanten, die bereits in „Underground“ aufspielten, kam das Team in einen kleinen serbischen Ort, wo sich jene Anekdote ereignet, aus der Kusturica und Gordan Mihic das Drehbuch für „Schwarze Katze, weißer Kater“ entwickelten. „Das Dorf feierte eine Hochzeit. Doch der Opa der Braut starb während der Trauungszeremonie“, erzählt Kusturica und schaut mit besinnlichem Lächeln aus dem Fenster seines Hamburger Hotelzimmers, als winkte ihm dort die Feiergemeinde noch einmal zu. „Nach einer Versammlung entschied sich die Familie gegen eine obligatorische Trauerzeit, in der Feiern verboten sind. Statt dessen setzten sie den toten Mann einfach an die Hochzeitstafel und stellten ihm Wein und Essen hin.“ Dieser pragmatische und undramatische Umgang mit Leben und Tod habe ihn sofort fasziniert.

Beseeltes gerät plötzlich in Todesstarre, Seelenloses wird von magischer Kraft animiert – solche Elemente bilden wie in vielen Filmen des serbischen Regisseurs auch in seinem jüngsten alogische Reaktionsketten. Bei keinem Pappkarton kann man sicher sein, daß er nicht irgendwann laufen lernt. Allenthalben flattern Gänse und Hühner vorbei oder fallen um, immer wieder rattern die aberwitzigsten Fortbewegungsapparate durch das Bild. Und wenn hier Musikanten wie faules Obst in den Bäumen hängen, Tote einfach nicht sterben können und die Großmütter Unglückliche liebevoll mit dem Kaffeesatz der Fügungen trösten, dann liegen sich bei Emir Kusturica wie zuvor in „Time of the Gypsies“ melancholischer Privatmythos und geborgter Naturzauber in den Armen. Daß er dabei die Welt der Sinti an den Kitsch verraten könnte, stört den 44jährigen wenig: „Ich mag Kitsch. Er bricht jeden manierierten Stilwillen, er birgt eine Menge Ironie und eine wunderbare Vitalität und Leichtigkeit. Und er steht für eine emotionale Kraft, für einen Mut zum Gefühl, wie ich es nur bei den Zigeunern erfahren habe.“

Entsprechend kommt „Schwarze Katze, weißer Kater“ als ein Balkan-Comic daher, in dem der Himmel voller Geigen hängt, die ein Lied auf die naturbelassene Euphorie fideln. Gemalt in den süßlichen Farben der Zigeunermystik und angetrieben von anarchischem Witz, aber auch von schlichterem Knallerbsenhumor. So muß ein Schurke mit dem ganzen Plumpsklo umkippen, um dann noch in einer Grube abgestandener Fäkalien zu versinken. Doch an anderer Stelle gelingen Kusturica Kunststücke unbekümmerter Regellosigkeit. Wenn ein Schwein einen alten Trabi anknabbert, dann schlägt die Natur mit behaglichem Grunzen zurück, gegen die Technik, gegen das System.

„Materialistische Gesellschaftsordnungen walzen jede Magie aus der Welt ihres Warenkreislaufs“, klagt Kustorica und wäre wohl auch deswegen gerne selbst ein Sinto. „In meinen Adern fließt ebenso serbisches wie kroatisches und moslemisches Blut. Aber es gibt keine ethnischen Wurzeln, die zu den Zigeunern führen, leider.“ Doch einen Trost gibt es doch. Das Filmen, das Arbeiten und Leben in anderen Ländern: „Ein Nomade, irgendwo zwischen Himmel und Erde, so wie sie, bin ich auch.“

„Schwarze Katze, weißer Kater“. Regie: Emir Kusturica. Mit Bajram Severdzan, Florijan Ajdini, Jasar Destani, Branka Katic u.a., D/F/JG 1998, 130 Min.