Wüste Ausfälle des Gouverneurs von Krasnojarsk

■ Der Stern von Ex-General Lebed sinkt. Schuld ist seine Liaison mit Geschäftemachern

Moskau (taz) – Das Gesicht des Gouverneurs von Krasnojarsk schien von Mumps geschwollen, die Augen verengten sich: „Geh doch zur ... Mutter!“ zischte General Alexander Lebed in die Kamera. Die Zuschauer wußten, welches Wort mitleidige Redakteure später durch einen Piepton ersetzt hatten. Es wird in Rußland ebenso gern benutzt wie das US-Äquivalent „fucking“, trifft aber die slawische Seele tiefer.

Den so beschimpften Chef der Kranojarsker Brennstoff-Gesellschaft, Marat Saitow, belegte Lebed während der gleichen Pressekonferenz noch mit einem anderen Ausdruck. Mit dem bezeichnet man sonst in russischen Straflagern Häftlinge, die vergewaltigt werden. „Fixiert auch das!“ bat Lebed die Journalisten. Der General wählte seine Worte bewußt. Sein Bewußtsein aber war das eines in die Ecke Getriebenen. In Wahrheit forderte Alexander Lebed nicht Saitow heraus, sondern dessen Patron: den Generaldirektor der örtlichen Aluminiumwerke, Anatoli Bykow. „Die Reputation Bykows ist skandalös-kriminell“, schreibt die Moskauer Wochenzeitung Obschtschaja Gaseta. Natürlich weist der Großindustrielle die Pressebehauptung zurück, er sei Spezialist für Schutzgelderpressung. Wie aber der Boxtrainer Bykow an die Spitze des Mammutunternehmens gelangte, bleibt ein Rätsel. „Die Krasnojarsker nehmen sich bei Telefonaten in acht, wenn sie über die Mächtigen reden“, schreibt wieder die Obschtschaja Gaseta: „Das Wort ,Aluminiumgruppe‘ wird hier genauso ausgesprochen wie in Moskau ,Solnzewskaja‘ (Mafia – Anm. der Red.). Mit dem Unterschied, daß Solnzewo nur ein Bezirk der Hauptstadt ist, die „Aluminiumgruppe“ aber ganz Krasnojarsk in ihren Händen“ hält.

Bykows Gruppe besitzt heute 94 Prozent der Aktien der Krasnojarsker Aluminiumfabrik, Mehrheitspakete des Krasnojarsker Wasserkraftwerkes, des Kohlekombinates und der Metallurgischen Fabrik. Kein Wunder, daß der Oligarch von einer Korporation träumt, die alle Energieerzeuger und metallurgischen Betriebe der Provinz umfaßt. Aber nach seinen bisherigen Erfahrungen will der Gouverneur Lebed nicht mehr glauben, daß sich dies auch für das Gemeinwesen auszahlen würde.

Zum Zeitpunkt seiner öffentlichen Fluchtirade zappelte der General bereits in der Schlinge des Magnaten. Schlimm für Lebed, daß er sie selbst mitgeknüpft hatte! Nachdem Bykow Lebed im Wahlkampf unterstützt hatte, schufen beide im Sommer 1998 die Brennstoffgesellschaft KTK. Wenn früher die Kraftwerke des Gouvernements ihre Schulden gegenüber der Dachgesellschaft der Kohlegruben, Krasugol, beglichen, so bündelte jetzt die KTK diese Finanzströme. Die Aluminiumfabrik als Hauptaktionärin der KTK versprach dafür der Regierung Ruhe unter den Bergarbeitern.

Um die Jahreswende widersetzte sich der General plötzlich Bykows Bestrebungen, sich auch noch die Kohle-Gesellschaft anzueignen. Als Antwort eröffnete eine Bykow nahestehende Bank das Bankrottverfahren gegen Krasugol. Spät mußte Lebed den Schaden erkennen, der durch seine Liaison mit der Pseudogeschäftswelt dem Gouvernement drohte.

Das Gouvernement Krasnojarsk gehört zu den an Rohstoffen und Metallen reichsten Regionen Rußlands. Aber stets verstanden es die Karsnojarsker Industriebarone, die hier entspringenden Geldströme in andere Breiten zu leiten. Zum Gouverneur gewählt wurde Lebed nicht zuletzt aus Protest gegen diese ausbeuterische Politik. Außerdem wählte man ihn als Offizier. Inzwischen hat sein Lavieren die Illusionen seiner Wähler zerstört. Nach seiner letzten Politshow wird Alexander Lebed auch als möglicher Präsidentschaftskandidat kaum noch ernst genommen.

Letzte Woche erbat der brummige Haudegen sogar Beistand in Moskau. Gehör fand er bei Jelzins oberstem Berater Nikolaj Bordjuscha. Wie einst General Lebed will Geheimdienstgeneral Bordjuscha in Rußland Ordnung schaffen. Viele Provinzoberhäupter verfolgen die Vorgänge in Krasnojarsk als eine Art Präzedenzfall, als einen Versuch dubioser Kreise, die Exekutive zu privatisieren. Der beleidigte Manager Saitow erhob inzwischen gegen Lebed Klage. Der Gouverneur rüpelt weiter drauflos: „Als ob ich mit dem nackten Hintern einen Igel erschrecken könnte!“ Barbara Kerneck