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Quantenbillard im dreidimensionalen Raum

■ Knoten ver- und entknoten sich, Kreise werden zu Parallelogrammen – regieführende Mathematiker zeigen auf dem „videomath-festival“ im Eiszeit-Kino computeranimierte Filme

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist ein gerader Strich. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf dem Erdball ist eine direkte Linie um den Globus. Was wäre aber, wenn die Erde keine Kugel wäre, sondern ein Gebilde, das wie zwei aneinandergeklebte Donuts ausieht, und der eine Punkt ist an der oberen, linken Kante und der andere an der unteren, rechten Kante? Ganz schön kniffelig für eine Linie, hier mal eben die kürzeste Verbindung zu finden...

Daß es derartige „Probleme“ sind, mit denen Mathematiker sich den lieben langen Tag beschäftigen, hatte man schon länger vermutet. Daß sie auch Filme darüber drehen, wenn ihnen eine Lösung eingefallen ist, war bisher allerdings kaum bekannt. Doch der vierminütige Kurzfilm „Geodesics and Waves“, der an der TU Berlin entstanden ist, zeigt mit computeranimierter Genauigkeit, wie sich die Linie von einem Punkt zum anderen um den doppelten Donut- Planeten winden muß, ohne auch nur einen Millimeter zuviel zurücklegen zu müssen.

Der Film gehört zu einem Filmgenre, das jenseits eines gewissen Fachpublikums bisher kaum Zuschauer gefunden hat: dem mathematischen Lehr- und Dokumentationsfilm. Eine Auswahl dieser Filme zeigt ab heute das Kreuzberger Eiszeit-Kino einem Publikum, das sich wohl in der Regel beim Abitur zum letzten Mal mit höherer Mathematik herumärgerte.

„VideoMath“, so der Titel dieser Cannes-Rolle des mathematischen Films, wird auch jene faszinieren, denen Algorithmen und Primzahlen genauso gleichgültig sind wie die Wurzel aus 17.965.008. Die Zusammenstellung wurde im vergangenen Jahr für einen Fachkongreß in Berlin ausgewählt.

Freilich erscheint es fast so, als wären die mathematischen Fragen, die uns diese Filme angeblich nahebringen sollen, nur ein Vorwand, um mal wieder etwas Spaß mit abstrakten Animationen zu haben. In ihren besseren Phasen erinnern die Lehrfilme oft an Oskar Fischingers gegenstandslosen Trickfilme aus den 20er Jahren, oder an Techno-Blubber-Videos der Gegenwart. Etwa ein Drittel der Filme könnte leicht bearbeitet auch bei MTV zur visuellen Begleitung von zeitgenössischem Dancefloor laufen.

Spätestens nach dem dritten Kurzfilm gibt man es auf, den „Inhalt“ verstehen zu wollen und versenkt sich ganz aufmerksamkeitslos in dieses „Universum der technischen Bilder“. Da blühen Mandelbrot-Bäume auf. Knoten ver- und entknoten sich nach strengen, mathematischen Gesetzmäßigkeiten.

Dauernd werden Kreise in immer kleinere Scheibchen zersäbelt, aus denen sich dann wie von Geisterhand Parallelogramme zusammensetzen. Wahrscheinlichkeitstheoretische Berechnungen animieren ein Billardspiel mit Pixeln, die auch Quanten sein könnten. Virtuelle Kreaturen hoppeln über die Leinwand. Dann taucht aus dem Nebel eine dreidimensionale Animation eines paradoxen Hauses von M.C. Escher auf. Und dann erfahren wir noch, daß der Satz des Pythagoras auch noch gilt, wenn statt Quadraten zum Beispiel Teekannen an den beiden Katheten und der Hypothenuse angelegt werden. So, so...

Die meisten Bilder in den „VideoMath“-Beiträgen haben einen artifiziellen, Airbrush-artigen Look, denn fast alles an diesen Filmen ist computeranimiert. Jede Darstellung eines mathematischen Sachverhalts ist daher selbst wieder Resultat von komplexen mathematischen Prozessen im Grafikcomputer; in den Credits wird übrigens immer ausdrücklich die Software erwähnt, mit denen die Filme „gedreht“ (?) wurden.

Als Laien sehen wir auf die herumkurvenden Kurven und die sich wellenden Wellen so fassungslos wie ein Indianerstamm am Amazonas, der zum ersten Mal eine Filmvorführung erlebt. Was immer das ist, was da auf der Leinwand herumkrebst und -fließt, es ist nicht nur normalerweise dem Zugriff der Kamera entzogen, sondern auch weit jenseits unseres Vorstellungshorizonts. Eine Prise eigenartigen Humors müssen die regieführenden Mathematiker übrigens auch besitzen: nach einem Film über die zweite Dimension werden wir im Nachspann ausdrücklich darauf hingewiesen, daß keinem der zweidimensionalen Wesen bei den Dreharbeiten ein Leid zugefügt wurde...

Gut beraten ist man wahrscheinlich, wenn man sich „VideoMath“ unter dem Einfluß einer leichten Dosis der eigenen Lieblingsdroge ansieht. Auch Walt Disneys abstrakter Musikfilm „Fantasia“ war nicht umsonst Ende der 60er Jahre einer der Kultfilme unter kalifornischen Hippies und Drogenköpfen. Zwischen gegenstandlosem Kino und bewußtseinserweiternden Mittelchen scheint es eine recht feste Verbindung zu geben. Tilman Baumgärtel

Ab dem 4.Februar im Eiszeit-Kino

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