: Totgesagte Zeitungen leben länger
■ Der gefährdete „Aufbau“, die einzige deutschsprachige jüdische Wochenzeitung Amerikas, kann noch gerettet werden. Die Ausrichtung des Profils auf Deutschland könnte eine Chance sein
Das Ende wurde ihm schon oft vorausgesagt. Der Aufbau, die einzige deutschsprachige jüdische Wochenzeitung Amerikas, die 14täglich in New York erscheint, steht nach mehr als 60 Jahren vor dem endgültigen Aus. Doch es scheint, als habe sich buchstäblich in letzter Minute ein Käufer gefunden. Der Vizeverleger Fritz Weinschenk teilte mit, Verhandlungen mit der in Frankfurt und Miami lebenden Verlegerin Chaja Koren, Chefin des Orgler-Verlages, der Judaika und Bücher über den Holocaust herausgibt, seien positiv verlaufen. Ein Vertrag könne möglicherweise in der nächsten Woche abgeschlossen werden. Dann ist der Aufbau auf den Weg ins 21. Jahrhundert, wie es auf seiner Internetseite heißt (http://www.aufbau.com).
„Als wir 1939 in New York ankamen“, erinnert sich Marion Wolff, eine Aufbau-Leserin der ersten Stunde, „lasen wir täglich die Kolumne ,Gesucht wird‘. So fanden wir Freunde und Angehörige, denen es wie uns gelungen war, aus Deutschland herauszukommen. Ab 1945 erschien dann regelmäßig die Spalte ,Angekommen‘. Ich erkannte in der Namensliste einen alten Schulfreund wieder, der den Holocaust überlebt hatte. Mit Hilfe des Aufbaus fand ich ihn, und 1950 haben wir geheiratet. Im Jahr 2000 werden wir 50 Jahre verheiratet sein.“ Gegründet wurde die Zeitung 1934 in New York und war das Organ der deutschsprachigen, vor allem der jüdischen Emigranten und Exilanten in New York. Große Namen verbanden sich in den Anfangsjahren mit dem Blatt: Albert Einstein und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel, Nahum Goldmann und Max Nussbaum saßen in der Redaktion oder schrieben für den Aufbau. „Unser aller Tagebuch“, nannte Hans Habe den Aufbau. Der stolze Aufbau aber, der vorwiegend in Kreisen der deutschsprachigen Juden in New York gelesen wurde, kränkelte bald, denn Integration und Überalterung der deutschen Juden in Amerika raubten ihm seine Leserschaft.
„Als meine Eltern nach Baltimore zogen“, erinnert sich Marion Wolff, „kündigten sie das Abo. ,Ich bin jetzt Amerikaner‘, sagte mein Vater, ,Schluß mit der Sentimentalität alter Erinnerungen.‘ Doch als die beiden alt wurden, begannen sie wieder deutsch miteinander zu sprechen“, erzählt Marion, die selber nur ungern deutsch spricht. „Ich war's dann, die den Aufbau abonniert hat, um ihn meinen Eltern nach Baltimore mitzubringen, wenn ich zu Besuch kam.“ Inzwischen sind Marion Wolffs Eltern gestorben, und jetzt möchte sie, daß ihre Kinder und Enkel den Aufbau lesen, damit sie mit ihrer Geschichte verbunden bleiben. „1991 habe ich die Redaktion angeschrieben und sie gedrängt, eine englische Beilage für die dritte und vierte Generation zu machen, die kein Deutsch mehr spricht“, erzählt sie. „1995 dann habe ich meinen Brief als Leserbrief im Aufbau wiedererkannt, und jetzt sind die englischen Artikel in einer Beilage gebündelt.“
Tekla Szymanski aber, Chefin vom Dienst beim Aufbau, verspricht sich nicht sehr viel davon, auf das englischsprachige jüdische Publikum Amerikas zu schielen: „Es gibt allein in New York 300 englischsprachige jüdische Zeitungen. Wie sollen wir dagegen ankommen?“ Die prominenteste von ihnen ist der „Forward“ (der alte „Vorwärts“), der schon Anfang der 80er Jahre von Jiddisch auf Englisch umstellte und damit überlebte. Szymanski sieht die Rettung eher darin, den „Aufbau nach Deutschland zurückzubringen“, will sagen, ihn für deutsche Leser attraktiv zu machen. „Es gibt unter jungen Deutschen eine große Neugier auf das Judentum in der Diaspora, und es gibt Vermittlungsbedarf. Die Verständigung zwischen Deutschland und Israel ist weiter gediehen als die zwischen jungen Deutschen und den Juden in Amerika. Der Aufbau kann eine Brücke bauen und Verständigungshilfe leisten.“
So ähnlich sieht das auch Marion Wolff: „Es gibt jetzt überall in Deutschland Städte und Gemeinden, die sich ihrer jüdischen Vergangenheit erinnern und jüdische Ecken im Heimatmuseum einrichten wollen. Mir kommen diese jungen Leute oft wie Ägyptologen vor, ihr Gegenstand ist ihnen fremder, als es ägyptische Mumien wären. Über den Aufbau aber erreichen sie Überlebende bzw. deren Kinder in Amerika, die ihnen wichtige Auskünfte und Dokumente über jüdisches Leben in Deutschland geben können.“ Der Käufer des Aufbau scheint in die gleiche Richtung zu denken. Das Verlagsunternehmen mit Standbeinen in Israel, Deutschland und Amerika will nichts geringeres als mit dem Aufbau „das Judentum nach Deutschland zurückbringen, damit es wieder so ist, wie's vor dem Krieg war“. Er will dasselbe wie die engagierte Leserin Marion Wolff: „Das Verhältnis von Englisch zu Deutsch muß genau andersherum sein als heute: also nur noch 20 Prozent Deutsch und 80 Prozent Englisch. Den Neustart beim Aufbau aber schaffen wir nur mit Hilfe unserer Leser, mit deren Spenden und deren Engagement.“
Leserinnen wie Marion Wolff sollten in die Neukonzeptionierung einbezogen werden. Sie sprudelt über vor Ideen: „Letzten Sonntag habe ich den Super Bowl gesehen. Und in einer Spielpause wurde Henry Eisener interviewt – das ist der Bierverleger für die Werbung, also der Mann der Werbekampagnen der Bierindustrie managt – ein schwerreicher Kaufmann. Und wissen Sie, wer das ist: Seine Mutter war Verteilerin des Aufbau in Baltimore. Sie war's, die alle Juden deutscher Zunge anrief, um denen ein Abo aufzuschwatzen. Solche Leute muß man doch anhauen, der Mann wäre doch zu Spenden bereit.“ Chaja Koren ist nicht abgeneigt, weitere Ideen dieser Art zu hören. Peter Tautfest
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