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Der Luxus unberührter Natur

Die letzten gut organisierten Abenteuer zu den abgelegensten Winkeln der Erde. Mit Einbaum und Buschflugzeug kein Problem. Beispielsweise eine Trekking-Tour durch den Dschungel in Surinam  ■ Von Katharina Büttel

Das Röhren der Brüllaffen und das Kreischen der Aras wecken uns. Rasch ist das Moskitonetz eingerollt, die Hängematte auf der Terrasse gespannt, der „Good- morning“-Tee serviert. Die Sonne brennt schon früh ohne Milde und zeichnet die Uferkonturen des Gran Rio messerscharf. Um uns herum unberührter Urwald. Aus der dichten grünen Mauer ragen Riesenbäume über den Fluß, von Lianen gehalten wie Telegrafenmasten.

Wir lauschen den Geräuschen des Dschungels und beobachten das Leben am Fluß. Lautlos gleiten Einbäume über das Wasser, legen an, fahren wieder ab. Farbtupfer im ewigen Grün sind die knallbunten Tücher, die die Frauen um die Hüften geschlungen haben. Sie waschen, baden und schwatzen am Fluß. Auf dem Kopf tragen sie prallgefüllte Körbe und Eimer. Aufrecht und elegant ist ihr Gang, wenn sie die Ufer in Richtung Dorf verlassen. Für uns verkörpern sie Exotik pur, die Entsprechung unserer Bilder. Reale Kopfgeburten unserer europäischen Klischees.

Wir sind tief im tropischen Amazonas-Regenwald im Herzen des kleinen Karibiklandes Surinam. Die ehemalige holländische Kolonie ist ein tiefgrüner Flecken Erde, abgelegen und unberührt. Kaum ein Tourist verirrt sich hierher. Wilder Dschungel ohne Straßen und Eisenbahnlinien, aber mit 5.000 Kilometer Wasserwegen. Das Buschflugzeug ist das wichtigste Verkehrsmittel ins Landesinnere.

Der Weg in den Dschungel beginnt auf dem Flugfeld „Zorg an Hoop“, Sorge und Hoffnung, in der Hauptstadt Surinams, Paramaribo. In der kleinen, zweimotorigen „Twin-Otter“ geht die Reise in dreitausend Meter Höhe den Fluß Saramacaan entlang. Unendlich erscheint der Urwald und so dicht, als flöge man über riesige Brokkoli-Köpfe. Nach zwei Stunden setzt Buschpilot Stephen auf der holprigen Grasbahn von Kayane auf. Wir sind in Indianer-Land und im Land der sogenannten Buschneger angekommen. Bei den Nachfahren jener Stämme, die vor über 250 Jahren von holländischen Kolonialherren als Plantagensklaven aus Westafrika verschleppt wurden. Viele von ihnen flohen Mitte des letzten Jahrhunderts von den Plantagen der Küstenregion hierher und nannten sich fortan Saramacaans. Nach dem Fluß, an dem sie Zuflucht vor den verhaßten Zuckerbaronen fanden.

Ein kräftiger Tropenregen gestaltet das Umsteigen in den schmalen Korjal schwierig. Der Einbaum, einziges Transportmittel auf dem Flußläufen im Urwald, ist 15 Meter lang und nur einen Meter breit. Dennoch trägt er 20 Personen und jede Menge Gepäck. Reiseleiter Johannes, selbst Saramacaan, und sein Bootsführer Opolde steuern uns sicher flußaufwärts durch die Stromschnellen des Gran Rio. Wir sind allein auf dem Fluß, nur ein paar Papageien kreischen in den Wipfeln. Nach einer halben Stunde Fahrt im teebraun gefärbten Wasser taucht zwischen Palmen, Affenbrotbäumen und Lianen die Flußinsel Awarradam mit den ersten Palmdach-Holzhütten auf.

Awarradam ist eines von vier Urwaldcamps des staatlichen Veranstalters für Öko-Dschungeltouren, METS. Die Bewohner der umliegenden Dörfer sorgen für die Gäste, kochen auf offenem Feuer, füllen die Petroleumlampen auf und sammeln Früchte im Busch. Umgeben von Stechpalmen, Yuccas und Hibiskusblüten oder badend in den Stromschnellen des Gran Rio verliert man schnell das Zeitgefühl. Wir genießen den Luxus unberührter Natur.

In den nächsten Tagen führen lange Flußfahrten in die Dörfer der Saramacaans oder direkt in den Dschungel. Spektakulär ist ein nächtlicher Boottrip. Traumsicher manövriert unser Koelamann seinen Korjal durch die enge, steinige Fahrrinne. Nur die roten Augen der Kaimane leuchten im Schein der Taschenlampe. Später im Dorf tanzen wir – voll integriert – mit. Die Jungen des Dorfes schlagen dazu wilde Rhythmen auf den Buschtrommeln. Bojo-Kuchen aus Süßkartoffeln machen die Runde.

Eine Flugstunde tiefer im Busch am Zusammenfluß des Tapanahony- und des Palumeu-River liegt die Siedlung der eigentlichen Ureinwohner des Landes, der etwa 200 Indianer der Trio-, Wajana- und Akurio-Ethnien. Sie leben von dem, was der Fluß und der Urwald hergeben: Früchte, Fische, wilde Tiere. Zur Begrüßung gibt es Manjok-Brot und Pfeffersoße, dazu würziges Manjok-Bier. Obwohl sie vom nahen Touristencamp profitieren, geht das Dorfleben seinen gewohnten Gang: Frauen stampfen Maniokbrei, Männer basteln Lanzen und spitzen ihre Pfeile. Derweil hört die Jugend, schon in Turnschuhen und T-Shirt, mit Begeisterung Walkman.

In Palumeu beginnt die Trekking-Tour für Guttrainierte: Zum „Kasikasima“, dem heiligen Berg der Indianer. Im Einbaum führt die Flußfahrt über mächtige Stromschnellen in den Süden, bis an die Grenze zu Brasilien. Schwerstarbeit für alle. Zu Fuß und mit Macheten bewaffnet geht es durch feuchtheißen Dschungel. Buffo, der indianische Führer, erklärt unterwegs exotische Wurzeln und Pflanzen, aus denen Medizin und das Pfeilgift Kurare gewonnen werden. Belohnt wird die Mühsal der Besteigung mit einem grandiosen Blick über den dampfenden Regenwald.

Auf der Rückfahrt schlägt die Stunde der Angler und Jäger. Geduldig zeigen uns die Indianer, wie man mit Pfeil und Bogen Tapire jagt und mit einfachsten Angeln Piranhas fängt. Jene berüchtigten Raubfische sind hier zum Glück weder gefährlich noch aggressiv. Die Tour ist strapaziös, aber gut organisiert. Wie in den meisten anderen Camps kann auch hier jeder seine Schlafstelle selbst wählen: die Hängematte im Freien oder das Holzbett in der Hütte.

Auf dem Fliegvelt, dem kleinen Flugfeld in Palumeu, hören wir das monotone Brummen unserer Twin-Otter. Schnell laden uns die Buschpiloten mit all unserem Müll ein. Jede Zigarettenkippe, jede leere Blechdose wird im Flugzeug verstaut. Wir fliegen zurück nach Paramaribo, einer quirligen, heruntergekommenen Karibikstadt mit weißen Holzhäusern im englisch-holländischen Kolonialstil. Nach dem Luxus unberührter Natur bleibt uns immerhin der Luxus europäischer Anmutung weit weg von zu Hause.

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