piwik no script img

Stalins schöner Busen

■ Das osteuropäische Folkduo „Poza“ spielte, trank, verwirrte, ärgerte und belustigte in der „Blue Moon Bar“ im Jungen Theater

An jedem Montag abend verwandelt sich das Junge Theater an der Friesenstraße in die „Blue Moon Bar“, und die Bremer scheinen nur auf solch eine Kneipe mit Live-Musik gewartet zu haben. Das „Moments“ ist mit dem ähnlichen Konzept „Who's Uncle Mo?“ an jedem Mittwoch gut gefüllt, und am letzten Montag waren in der „Blue Moon Bar“ die Plätze an den Tischen vor der kleinen Bühne schon fünf Minuten nach dem Einlaß besetzt, so daß in jede freie Nische noch Besucher auf Klappstühle gezwängt wurden und viele nur noch am optisch und akustisch ungünstig gelegenen Tresen Platz fanden. Und all dies, obwohl wohl nur wenige der ZuhörerInnen je vorher etwas vom Duo „Poza“ gehört hatten.

Das Programm mit obskuren Bands aus der Jazz-, Klezmer- und schrägen Ecke funktioniert nach dem Wundertütenprinzip. Ob „Poza“ nun ein Hit oder eine Niete war, läßt sich gar nicht so einfach sagen! Einerseits war der Auftritt nämlich eine Zumutung: Alle 20 Minuten machten die beiden Musikanten Trinkpause, der Gitarrist Leonid Soybelman spielte mit gelangweiltem Gesichtsausdruck so minimalistisch (nein, seien wir ehrlich: faul) wie nur möglich; dabei vergriff er sich auch oft erbärmlich.

Gesungen wurde in verschiedenen Sprachen und Dialekten des Balkans, so daß die Texte vom Ackordeonspieler und Sänger Alec Kopyt jeweils hinterher in einigen Sätzen auf Englisch (!) nacherzählt werden mußten. Dies tat er so spitzbübisch, daß man ihm nie so recht trauen konnte: Vielleicht sangen die beiden ja ein sowjetrussisches Loblied auf Stalin und verkauften es uns dann als eine Hymne auf die schönen Busen der Frauen. Sei es wie es sei, langweilig war der Abend zumindest nicht.

Der Ukrainer Alec Kopyt und Leonid Soybelman (geboren in Moldavien, aufgewachsen in Estland und jetzt israelischer Staatsbürger) machen Straßenmusik – egal ob in Konzertsälen, auf Hochzeiten oder in Bars. „Wir leben auf der Straße, mit der Straße und von der Straße“, ist ihr Credo. Sie singen (angeblich) von Seeleuten, Dieben oder der Arbeit in einer Ziegelfabrik und scheren sich kaum um Grenzen, weder stilistisch noch geographisch.

Ihre Musik ist eine gewagte Mischung aus Rembetika, Klezmer und Zigeunermusik, ihre Einflüsse haben sie aus der Ukraine, Rumänien, der Türkei, Griechenland und umliegenden Ländereien stibitzt. Sie würden gut in einen Film von Emir Kusturica passen: Sie sehen aus wie Schlitzohren und es gelang ihnen in Rekordzeit, das Publikum auf ihre Seite zu bringen, gerade weil sie sich so gar nicht um die Konventionen eines Konzertauftritts scherten. Auch wenn die Lieder noch so traurig klangen, Kopyt quetschte aus seinem Akkordeon ständig wilde Tanzmusik hervor, und der Kontrast zwischen dem leidenschaftlichen Performer und seinem völlig unbeteiligten Kumpan wirkte oft komisch, gerade weil die beiden überhaupt nicht versuchten, aus diesem Kontrast pointenreiches Kapital zu schlagen.

Musikalisch war der Abend keine Offenbarung, aber man bewunderte immer mehr die Chuzpe, mit der die beiden auf der Bühne agierten. Gerade weil ihr Auftritt so fadenscheinig war, wirkte er wie Straßenmusik im besten Sinne des Wortes. Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen