Theater, Sorgen etc.: Im tiefen Tal der Themen
■ In Berlin sorgt man sich im ungewissen, während echter Notstand ungefragt passieren darf
Eine merkwürdige Stimmung der Selbstauflösung herrscht derzeit im Berliner Theaterleben. Ein irgendwie vorwurfsvolles Sichwegschummelnwollen aus der eigenen Realität. Bei gleichzeitiger Zurschaustellung maximalen Empörtseins natürlich.
Betrachten wir das Theater der Freien Volksbühne. Soeben ist das Gebäude an eine norddeutsche Unternehmensgruppe verkauft worden. Sie will daraus ein „Art House“ machen – gehobene Unterhaltung mit Gastronomie. Im technisch bestausgestatteten Theater Berlins. Der Verein Freie Volksbühne, der seit 1992 kein Geld für den Theaterbetrieb mehr bekommt, stand kurz vor dem Konkurs. Hat der Verein für seine Sache getrommelt? Hat das jemand anderer getan? Der Vorsitzende fällte den Entschluß zu verkaufen ganz still, nachdem ihm klar schien, daß in Berlin am ehesten das Schiller Theater wieder in Betrieb genommen wird.
Der „Plan“, den es dafür gibt, ist indes diffus. Eine Art Mehrzweckhalle soll das einstige Repräsentationstheater werden, wie der Berliner Kultursenator Radunski allen Ernstes zu wissen gab, Ort für „Jüdisches Theater“ sowie Gastspiele aus den Bundeshauptstädten und aller Welt. Lacht darüber einer? Nicht öffentlich. Eher spricht sogar noch das Berliner Ensemble vor. Es möchte dort ab Ende April einige Zeit spielen, während das eigene Haus umgebaut wird.
Dabei kommen am Schiffbauerdamm schon keine Premieren mehr heraus. Die seit langem erste große Produktion wurde jetzt erst einmal einige Wochen verschoben, weil Martin Wuttke aus der Neuinszenierung von Heiner Müllers „Anatomie Titus Fall of Rome“ unter der Regie von Klaus Emmerich ausgestiegen ist. Was ebensowenig zu irritieren scheint wie die Tatsache, daß das privat geführte Berliner Ensemble für die Ära unter Peymann genausoviel Geld bekommen wird wie die staatliche Volksbühne. Dazu paßt, daß der Berliner Rat für die Künste am Montag abend zu einer Diskussion über die Frage einlud, ob Theater denn ein Ensemble brauche. Was ja nie jemand bestritten hat, schon gar nicht die Ensemble-Intendanten auf dem Podium: Dieter Görne (Dresden), Holk Freytag (Wuppertal-Gelsenkirchen) und Christoph Schroth (Cottbus). Mit dabei war auch der Ensembleschauspieler Christian Grashof vom Deutschen Theater, der einen Monolog gegen „die Politiker“ hielt, ein Schlagwort, das dann auch von den anderen gerne aufgegriffen wurde. Schließlich seien es am Ende das „mangelnde Gesellschaftsbild“ und die „fehlende öffentliche Diskussion“, die das Theater so mittelmäßig machten, wie es vielerorts ist.
Das Publikum gehobenen Alters hörte beifällig zu, nur der SPD-Kulturpolitiker Niko Sander widersprach murmelnd, was den hinter ihm sitzenden Intendanten des Deutschen Theaters, Thomas Langhoff, aufbrachte. Der hat derzeit allen Grund, gekränkt zu sein. Dennoch zeugt es von einer seltsamen Depressivität, daß das DT-Ensemble jetzt offenbar befürchtet, sein Theater solle überhaupt geschlossen werden, nur weil der Vertrag des Intendanten nicht über das Jahr 2001 verlängert wurde.
Eine „Kündigung“ aus dem wohl alleinigen Grund allerdings, um mit dem Hamburger Intendanten Frank Baumbauer verhandeln zu können, der aber längst abgesagt hat und nach München geht. Seither wird noch der absurdeste kulturpolitische Krümel diskutiert, den Radunksi fallen läßt. Der Tagesspiegel tastet ganzseitig Volker Hesse auf Staatstheaterintendantentauglichkeit ab, obwohl der bei einem Format wie seinem Zürcher Neumarkttheater bleiben will: neun Darsteller als Kollektiv. So schaut jeder, womit er sich sorgen kann. Petra Kohse
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen