: Total digital
Hamburger Offensive auf Leipzig: Das dortige Museum der bildenden Künste zeigt eine Retro von Petrus Wandrey und macht die Sammlung von Harald Falckenberg zugänglich ■ Von Hajo Schiff
Wie kommt Kunst mit Hamburger Touch im Doppelpack nach Leipzig? Zum 60. Geburtstag sollte dem hiesigen Künstler Petrus Wandrey zu einer Ausstellung verholfen werden: Der Direktor des Museums der bildenden Künste Leipzig wurde zu Harald Falckenberg eingeladen, einem Hamburger Fabrikanten, der dem Künstler den Anstoß zu seiner Sammlung verdankt und der zudem praktischerweise Mitglied im Förderkreis der sächsischen Kunstinstitution ist. Doch als Herwig Guratsch entdeckte, was der hanseatische Jurist und Wirtschaftsmann im Stillen so an international herausragender Kunst zusammengetragen hatte, wollte er nicht eher gehen, bis der Sammler seine Zurückhaltung aufgegeben hatte und der Ausstellung einer Auswahl von 80 Arbeiten zustimmte.
Das letzte Bild von Keith Haring oder der „Vesuvius“, eines der raren Gemälde von Andy Warhol, ein knapp stilisierter Kußmund von C.O. Paeffgen oder Neonskulpturen von Dan Flavin, Gemälde von Werner Büttner oder der „Video Scooter“ von Nam June Paik – die sehr persönliche Hitliste des Sammlers folgt dem eigenen Entdeckungsprozeß von amerikanischer Pop-Art zu Minimal und Fluxus und deren Wiederaufnahmen in den Neunzigern. Dabei liegt der Blick vor allem auf ironischer Brechung und sarkastischem Witz – etwa bei Richard Prince, von dessen Bild „my name“ der Titel für die Ausstellung geborgt wurde, oder bei dem gummipenisbewehrten Stinktierkostümen von Paul McCarthy.
Die Sammlung, das sei betont, ist alles andere als bloß eine Anhäufung von Belegstücken großer Namen. Sie enthält manche für die jeweiligen Künstler ungewöhnlichen und überraschenden Arbeiten: Die frei hängenden, mannshohen Bildröhren, 1965-1968 in Öl auf PVC von Gerhard Richter gemalt oder ein Acrylbild mit eingebautem Minimonitor von Nam June Paik. Doch der eigenständigen Logik einer Ausstellung mag das alles nicht gehorchen. Das Ganze ist eher ein in Hamburg bislang nicht öffentlich gemachter Einblick in diese Sammlung als ein „Work in Progress“ geworden.
Dafür ist die Retrospektive von Petrus Wandrey gänzlich von nur einem Thema dominiert: dem „Digitalismus“. Diesen Stil erfand Wandrey vor 20 Jahren, nachdem sein damaliges Idol Salvador Dalí zwar seine goldene Venus-von-Milo-Kopie mit ergänzten Ventilatorenarmen als Geschenk akzeptiert und im Mae-West-Room des teatro-museo Dalí in Figueras auf Dauer plaziert hatte, bei der Gelegenheit aber ihn ermahnte, nun statt des Surrealismus eine eigene Kunstrichtung zu schaffen.
Und Künstler war folgsam. Bis dahin hatte sich dessen Vita nach einer Kindheit in Krieg und Vertreibung durch eine existentialistische Künstlerboheme ausgezeichnet, deren teils kriminelle Finanzierung ihn des öfteren ins Gefängnis brachte, bevor er zum erfolgreichen Gebrauchsgrafiker für Platten- und Spiegel-Cover aufstieg. Nun wurde die gepixelte Zickzackline der frühen Computermalprogramme zu seinem graphischen Erkennungzeichen und die Hardware von Kabeln und Platinen, Kühlkörpern und Chips, Festplatten und CD-ROMS das Material seiner Plastiken von Engeln und Blumen, Cyborgs und Tieren.
„Hardware muß zur Heartware werden“, ist vielleicht das Zitat, das die Intention des Künstlers am kürzesten charakterisiert. Immer wenn ihm dabei zeichenhafte Reduzierungen gelingen, kann diese Idee auch formal überzeugen, doch viel zu oft macht der stete Strom der Zitate und die scheinnaive Form der Maske die Objekte schnell durchsichtig und dekorativ. Bis die Grenze zum Kitsch nicht mehr weit ist. Um letzterem durch Übertreibung entgegenzuarbeiten, hat Kurator David Galloway alles thematisch gruppiert und in knallbunten Räumen inszeniert. So wird die Ausstellung, wenn nicht zum wichtigsten, so doch zum schrillsten Denkanstoß des noch jungen Jahres.
Museum der bildenden Künste, Leipzig, bis 28. Februar. Katalog: „Petrus Wandrey: Bilder, Skulpturen, Objekte“, Hrsg. David Galloway, 174 Seiten, 49 Mark; Werkverzeichnis: „my name – Sammlung Falckenberg“, 272 Seiten, 59 Mark, beide: Verlag Oktagon
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