: Der Mann der winzigsten Würfe
■ Trauriges, Lustiges, Novembriges, Albernes: Funny van Dannen geht mit seiner CD „Uruguay“ und unverzichtbarem Liedgut auf Tournee
Was ist das bloß für ein unheimlicher, unbeschreiblicher Ort, der zwischen Witz und Verantwortung liegt? Zwischen Romantik und Ironie? Ist es vielleicht kein Ort, sondern ein Mensch? Wahrscheinlich ist es so und wird auch so bleiben, so lange Funny van Dannen am Leben ist. Immer wird es so weitergehen: Da steht er und singt seine Lieder. Manche sind albern, manche sind blödsinnig und manche sind traurig, aber alle sind unverzichtbar. Auch auf seiner neuen CD „Uruguay“ gibt es wie bei den drei Vorgängern genau sechs Songsorten. Eröffnet wird „Uruguay“ mit Typ eins. Selbstdarstellung. Hallo, hier bin ich. So geht mein Dasein als Künstler, so verlief die Kindheit, und dies sind meine schwerwiegendsten Charakterfehler. Was früher Funnys Faible für Eurythmieschuhe war, ist jetzt sein Hang zu Tütensuppen. Früher sagte er Dinge, die er genau so meinte, heute läßt er sich gehen.
Die nächste Sorte Song nach Funnys Fasson handelt von den Gewöhnlichkeiten des Alltags, von den lebendigen Dingen, deren Gefühle man verletzen, denen man ein liebes Denkmal setzen kann. Da tönte es früher surrealistisch und wunderlich sinnbefreit – dunkel war's, der Mond schien helle – von beleidigten Messern oder Mohnkuchen. Auf der neuen CD haben wir dafür ein Hochhaus mit wehendem Haar und den Plastikball: „Laß ihn hüpfen, laß ihn springen / und er wird dir Freude bringen“, reimt es an einer Stelle wie für den anthroposophischen Kindergarten. Hier ist Funny van Dannen ganz der Mann der winzigsten Würfe, in denen die größte Wahrheit steckt, so wahr, daß es nicht wahr sein darf.
Dritte Songsorte: Die Verhohnepipelung von Volksmeinung, von Prognosen und Arbeitslosen, dem Standort BRD und der Bild- Zeitung, von der grotesken Suche Mister Rossis nach dem Glück. Und auch linke Correctness wird verulkt: „Lesbische, Schwarze, Behinderte können ätzend sein.“ Es gibt auch wieder ein paar modernistische Bibeladaptionen, darunter ein Lied über Adam und Eva: „Sie saßen nackt in der Nachtbar, die nicht überdacht war.“ Sind wir nicht alle ein bißchen Christ?
Am wichtigsten, am erhabensten und am beängstigendsten sind dann aber doch wieder van Dannens Liebeslieder, die schönen (Sorte fünf) und die traurigen (Sorte sechs). Zu denen auch die kleinen Miniatursozialdramen gehören – sei es über die Liebe in Nordrhein-Westfalen oder über das Problem, daß sich evangelische Mädchen und katholische Jungen manchmal nicht verstehen. Stimmt schon, ein bißchen gibt Funny van Dannen den lebensklugen Dorfprediger aus Taddern, den Peter Bursch von gegenüber. Aber eigentlich ist es vor allem das überglückliche Sonntagskind, das immer lacht und singt, inbrünstig und vollkehlig, das ihn so heimelig unheimlich macht. Er singt die schönen Liebeslieder kurz vor dem schmalzigen Herzschmerz des deutschen Schlagers – aber manchmal auch mittendrin. Und erwischt uns eiskalt.
Und dann auch noch diese Rolle des desillusionierten, flauschigen, aber selbstironischen Melancholikers! Vor sich hinwurschtelnde Kreuzberger wissen halt, daß das Glück eine leichte Dirne ist, das Unglück sich aber gern zu dir ans Bett setzt und strickt. Oder anders: Daß er auch traurige Liebeslieder kann und es ihm gleichzeitig bei größten Fallhöhen nie schwindelt, macht ihn vollends metaphysisch. Baudelairesche Großstadtlyrik über die Liebe auf den ersten Blick im Vorübergehen, aber am Zebrastreifen, mit dem Brot in der Hand. Der Mann, der an Homebanking dachte, als er Liebe fühlen wollte. Und vor allen anderen das Novemberlied, der allergrößte Song auf dem neuen Album: „Es ist müde, es muß traurig sein. Mit ihm fängt der Winter an. Wenn du einschläfst, wird es weiterziehn, um die Ecken durch die Stadt. Es wird trinken, es wird schweigen. Weil es nichts zu sagen hat. Ein Novemberlied...“ Susanne Messmer
Nächsten Auftritte: 11.2., Berlin, Volksbühne; 18.2., Braunschweig, Brainclub; 19.2., Hannover, Chéz Heinz; 20.2., Bremen, Lagerhaus; 21.2., Münster, Gleis22
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