: Dialog und Anarchie mit der CDU
■ Mitgliederversammlung im CCH mit Angela Merkel, fordernder Basis, einem Büttenredner und einem Fraktionschef mit starrem Blick
Hamburgs Union, wer hätte das gedacht, besitzt anarchische Züge. Kaum hatte am Mittwoch abend CDU-Generalsekretärin Angela Merkel ihre Rede unter heftigem Beifall beendet und Landes-Parteichef Dirk Fischer die im CCH versammelten rund 400 CDU-Mitglieder aufgefordert, Fragen zu stellen, da vergriff Ulrich Karpen sich am Wort. Die Saalmikrophone souverän mißachtend, enterte der zur Selbstdarstellung neigende Bürgerschaftsabgeordnete die Bühne und hub an, eine Rede zu halten, die niemand hören wollte.
Unmutsäußerungen aus dem Publikum ignorierte Karpen ebenso wie die Fraktionskollegin in der zweiten Reihe, die peinlich berührt in sich hineinkicherte. Gaststar Merkel auf dem Podium, die gekommen war, um mit Hamburgs Unionschristen laut Veranstaltungstitel „im Dialog“ zu sein, lächelte routiniert vor sich hin; Fischer zu ihrer Linken grinste hie und da verlegen; Fraktionschef Ole von Beust zu ihrer Rechten musterte mit starrem Blick und gefalteten Händen einen Punkt im Nirgendwo. „Wir wollen mit Frau Dr. Merkel reden, nicht mit Ihnen“, protestierte jemand nach zehn Minuten. Es sei aber wichtig, was er zu sagen habe, beschied Juraprofessor Karpen die Stimme von der Basis und laberte weiter. Als er nach einer Viertelstunde seine Büttenrede doch noch beendete, war erleichtert-höhnischer Applaus sein Lohn.
Denn die Parteibasis war zur ersten Mitgliederversammlung in der Geschichte der Hamburger CDU ins Congresscentrum gekommen, um mit der Generalsekretärin und früheren Bundesumweltministerin darüber zu sprechen, wie es jetzt weitergehe. Indem die Union sich auf ihre „christlichen Wertvorstellungen“ besinne, hatte Merkel in ihrer halbstündigen Ansprache erläutert. Der „Ausstieg aus der Kernenergie ist ein Irrweg“ und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft „nicht das richtige Signal“. Der Sieg in Hessen „macht uns unglaublich Mut für die nächsten Wahlen“, weitere Erfolge kämen aber nur zustande, wenn die Union „mit den Bürgern diskutiert und ihnen zuhört und auch mal eigene Positionen überdenkt“.
Genau deswegen waren die Unionschristen zwischen 17 und 70 allerdings nicht erschienen. Wer sich ans Saalmikro stellte, forderte „mehr saubere und sichere Kernenergie“, endlich „entschlossenes Auftreten gegen die Drogenszene“ oder „die Aufrüstung“ der Unterschriftensammlung gegen den Doppelpaß. Oder, beifallumrauscht, alles gleichzeitig.
Am Nachmittag habe der Landesvorstand beschlossen, warf Fischer ein, die Unterschriftensammlung zu intensivieren und eine ganzseitige Anzeige im Abendblatt zu schalten. Und verkniff sich nicht die Bemerkung, daß es „nur eine Gegenstimme gab“. Fraktionschef von Beust, erklärter Gegner der „vereinfachenden Kampagne“ seiner Partei und Widersacher Fischers im Kampf um die Macht in der Hanse-Union, musterte weiter mit starrem Blick und gefalteten Händen einen Punkt im Nirgendwo. Sven-Michael Veit
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen