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Mittags kommt Strom vom Fjord

■ Klares „Jein“ zum Einstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie: Strom-Deal mit Norwegen perfekt Von Heike Haarhoff

Eigentlich steht dem Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie seit gestern morgen um 10 Uhr 50 nichts mehr im Wege: Exakt um diese Uhrzeit fischte Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) das lang ersehnte Ja-Wort der norwegischen Regierung aus dem Faxgerät, dem im März geschlossenen Stromlieferungsvertrag zwischen norwegischen und deutschen Energieversorgungsunternehmen, darunter die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), zuzustimmen. Spätestens im Jahr 2003 soll über ein 540 Kilometer langes Unterwasser-Kabel – Kosten der Verlegung: eine Milliarde Mark – jährlich bis zu 1500 Gigawatt Strom zwischen dem norwegischen Fars und Brunsbüttel ausgetauscht werden. Genug, um den jährlichen Bedarf von 300.000 Menschen zu decken.

„Das ist der Start für den in der HEW-Satzung festgeschriebenen Verzicht auf Kernenergie“, strahlte Vahrenholt beim eindeutigen „Jein“ in die Kameras. Konkreter festnageln lassen wollte er sich ebenso wenig wie der HEW-Vorstandsvorsitzende Manfred Timm. „Aus heutiger Sicht wäre das Kraftwerk Brunsbüttel verzichtbar, aber wir wissen nicht“, hielt sich Timm alle Hintertürchen offen, „welche Ausmaße der Stromverbrauch im Jahr 2003 annehmen wird.“ Eigentlich erstaunlich, wo doch ansonsten selbst der unnötigste Bedarf wie zusätzliche Müllverbrennungsanlagen genauestens prognostiziert werden kann. Der Gesellschafter-Vertrag mit Preussen-Elektra über das AKW Brunsbüttel werde jedenfalls im nächsten Jahr nicht gekündigt. Dies hatte noch im April der schleswig-holsteinische Energieminister Claus Möller (SPD) als Geste für den Ausstieg gefordert. „Die endgültige Entscheidung wird erst Ende des Jahrtausends getroffen“, erklärte Vahrenholt. Klar sei auch, daß sich das Konsumverhalten ändern müsse, um den Ausstieg voranzutreiben. Sprich: Licht aus und sparen.

Laut Vertrag werden die Norweger zu Hochbelastungszeiten Strom aus Wasserkraft liefern. Im Gegenzug verpflichten sich HEW und RWE, die gleiche Menge produzierten Stroms nachts und am Wochenende nach Norwegen zu leiten. Ein Drittel des ausgetauschten Stroms (500 Gigawattstunden) soll aus norwegischer Wasserkraft gewonnen werden. Dies gilt für mindestens 25 Jahre.

„Damit wird in acht Jahren jede fünfte in Hamburger Haushalten verbrauchte Kilowattstunde Strom aus norwegischer Wasserkraft stammen“, verlauteten Umweltsenator Vahrenholt und der HEW-Vorstandsvorsitzende Manfred Timm einstimmig. Am gesamten Hamburger Stromverbrauch werde die regenerative Energie damit fünf Prozent ausmachen. „Solche Mengen hätten wir nie allein erzeugen können“, sonnte sich ein „überaus glücklicher“ Vahrenholt im Erfolgsrausch, „denn dazu wären 770 Windkraftanlagen a 500 Kilowatt oder 450.000 Solardächer a 1,5 Kilowatt nötig.“

Ob es weitere Stromkabel-Verlegungen künftig auch nach Island geben werde, mochte Vahrenholt nicht ausschließen: „Wir sind dabei, die Schwierigkeiten der 2000 Kilometer langen Trassenführung zu erkunden.“

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