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Netz aus Lebenslügen

■ Eine Menge Arbeit für die Tränendrüsen: Carl Franklins Melodram „One True Thing“

Das Bedürfnis nach Betroffenheit will befriedigt werden, auch Hollywood läßt sich da nicht lumpen. So haben die beiden Regisseure Chris Columbus und Carl Franklin, jener für Columbia Tristar, dieser für Universal Pictures, im vergangenen Jahr aufwendige Filme zum Thema Krebs gedreht. Columbus' „Seite an Seite“, vor gut zwei Wochen in Deutschland gestartet, steckt Susan Sarandon in die Rolle der Todgeweihten; in Franklins Film „One True Thing“ gibt Meryl Streep die sterbende Professorengattin: Große, in die Jahre gekommene Schauspielerinnen bekommen große Auftritte in traurigen Filmen. Und das Schicksal darf auch wieder mitspielen.

Was „One True Thing“ dabei wohltuend von „Seite an Seite“ abhebt, ist der Umstand, daß Franklin Konflikte und Ambivalenzen innerhalb seiner Figurenkonstellation – einer Akademikerfamilie in einer kleinen Ostküsten-Universitätsstadt – plausibel und, gemessen an Hollywood-Standards, fast couragiert herausstreicht. Da ist der Ehemann (William Hurt), der am Leiden seiner kranken Frau Kate kaum Anteil nimmt. Deren Betreuung wie auch die Haushaltsführung delegiert er an seine Tochter Ellen (Renée Zellweger), die sich eigentlich lieber in New York ihrer Karriere widmen würde. Doch der Vater duldet keine Widerworte und drückt der verdutzten Starreporterin in spe gleich noch einen Stapel dreckiger Hemden in die Hand: So wird aus der ehrgeizigen jungen Frau wieder eine Tochter. Spätestens in dem Augenblick, in dem der Chefredakteur anruft, während Ellen das Klo putzt, ist ihr Verzicht besiegelt.

In dieser und in anderen Szenen webt „One True Thing“ an einem komplexen Netz aus Lebenslügen und Desillusionierungen, aus Machtgesten und Selbstaufopferung. Sogar die Weihnachtsfeier wird zum Schauplatz eines erbitterten, innerfamiliären Streits; und was den körperlichen Verfall der Mutter betrifft, scheut Franklin nicht davor zurück, die dem Sujet entsprechenden Bilder zu finden: Meryl Streep ohne Haare hat man selten gesehen. Doch ganz verläßt sich Franklin nicht auf die eigene Courage. Die Herbstkulisse, die er dem Leiden Kates unterlegt, ist pure Konvention. Und die Versöhnungsgeste zwischen Vater und Tochter, vollzogen am Grab der Mutter: Die darf natürlich auch nicht fehlen. Cristina Nord

„One True Thing“: 13.2., 15/22.30 Uhr (Zoo Palast), 14.2., 15 Uhr (Royal Palast) und 21 Uhr (Urania)

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