: Mit der Autorität Hollywoods
■ „The Last Days“, der Dokumentarfilm der Shoah Foundation über den Holocaust in Ungarn
Als die deutsche Armee am 19. März 1944 Ungarn besetzte, hatte das Deutsche Reich den Krieg längst verloren. Trotzdem sollte die sogenannte Endlösung der Judenfrage durch die Deportation der ungarischen Juden weiter vorangetrieben werden. Bill Basch, Geschäftsmann aus Los Angeles und als ungarischer Jude Opfer der von Eichmann organisierten Verschleppung, konstatiert noch heute mit Verwunderung, welche Mengen an dringend benötigten Ressourcen Hitler und das Referat IV-B-4 im Reichssicherheitshauptamt in den Genozid steckten.
Basch ist einer von fünf Überlebenden des ungarischen Holocaust, die der ehemalige leitende Direktor von Steven Spielbergs Shoa Foundation interviewte. Tom Lantos, republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, Renee Fireston, im Unterrichtsprogramm des Simon Wiesenthal Centers beschäftigt, die Künstlerin Alice Lok Cahana und die Hausfrau Irene Zisblatt sind seine weiteren Gesprächspartner. Und ein griechischer Jude, der im Sonderkommando arbeiten mußte, sowie der letzte noch lebende KZ-Arzt von Auschwitz, Hans Münch. Nach einem Interview mit dem Spiegel im September 1998 leitete die Münchner Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Beihilfe zum Mord gegen ihn, der bis dahin unbescholten im Allgäu lebte, ein.
Molls Film ist durch eine strikte, ungeheuer perfekte Dramaturgie gekennzeichnet, die wechselweise Zeugenaussagen und historische Filmdokumente zwingend miteinander zu verknüpfen sucht. Wenn er die Berichte seiner Zeugen so aneinanderschneidet, daß sie sich gewissermaßen ins Wort fallen, der eine dort fortfährt, wo die andere stehengeblieben zu sein scheint, dann kommt er der Dramaturgie des Spielfilms nahe. Die Mühsal des Erinnerns, das Suchen nach Worten, das Stocken kommen nicht vor. Auf ein großes Publikum wirkt das vielleicht besonders glaubwürdig. Eben weil „The Last Days“ mit der Autorität des – zugespitzt gesagt – Hollywoodfilms einherkommt. Auch das Filmende ist bereits durch Spielberg (der den Film produzierte) und dessen Film „Schindlers Liste“ bekannt: Die Überlebenden finden sich im Kreis ihrer umfangreichen, wiedererblühten Familie mit Kindern und Kindeskindern wieder.
Eine Unterstellung von Spielbergs „Saving Private Ryan“ allerdings widerlegt der Film: die KZ- Insassen sahen in den amerikanischen Soldaten zu Recht ihre Befreier. Aber diese waren nicht als solche gekommen. Sonst hätten sie – anders als amerikanische Militärs im Film berichten – wissen müssen, was Dachau meint und sie dort erwartet. Brigitte Werneburg
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