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Mühsamer Abschied vom Alkoholimage

■ Statt auf zollfreie Waren setzt Helgoland heute auf Kunst und gute, pollenfreie Luft

Jammern ist der liebste Gruß des Kaufmanns, heißt es. Helgoländer sind gute Kaufleute. Sie klagen seit Jahren laut und vernehmlich. Anfang der neunziger Jahre empörten sie sich über das Ansinnen der Kieler Landesregierung, die Häuserzeile an der Mole unter Denkmalschutz zu stellen. Die Bauumweltpfleger im fernen Schleswig-Holstein erkannten in den Schmuckseiten dieser Gebäude ein astreines und vor allem vollständig erhaltenes Design aus den fünfziger Jahren.

Mittlerweile ist der Streit beigelegt. Die Pensionsbesitzer durften in ihren Häusern umbauen, wie sie wollten, die Fassaden ließen sie dafür in Frieden. Ein anderes Ansinnen konnte erfolgreich verhindert werden: Helgoland aus der Duty-Free-Zone herauszunehmen. Denn vom Schnaps- und Zigarettenverkauf hatte die Insel gelebt seit Ende der fünfziger Jahre. Ein knappes Jahrzehnt, nachdem britische Bomber vergeblich versucht hatten, das Symbol deutscher Ansprüche auf die Vormacht in der Nordsee ins Meer zurückzusprengen, begann die Erfolgsgeschichte Helgolands.

Die Befürchtung, nicht mehr mit Alk und Rauchwaren tief unter Festlandsniveau dealen zu dürfen, ist vom Tisch; man hat erfolgreiche Lobbyarbeit in Bonn und Brüssel geleistet. Trotzdem war es mit dem Helgolandboom Anfang der neunziger Jahre vorbei. Kamen in den siebziger Jahren noch 800.000 Gäste am Tag auf die einzige Hochseeinsel der Republik, waren es voriges Jahr nur 480.000. Der Reiz, mit dicken Schiffen nach Helgoland einen Ausflug zu machen, war offenbar verflogen: Was waren schon zehn Mark Differenz auf eine Stange Zigaretten, wenn selbst ein vor Fett triefendes, nur mühsam durch Panade zusammengehaltenes Schnitzel samt Kaffee und Kuchen mehr kostete als ein anständiges Dreigängemenü in Hamburg oder Berlin? Für Urlauber, die mehrere Nächte bleiben wollten, war die Insel bald unbezahlbar. Ende der sechziger Jahre wog für deutsche Urlauber noch ein Standortvorteil schwer: Dort sprach man Deutsch – und das war entscheidend für eine Generation, die in der Schule kaum Englisch lernen konnte und schon deshalb Ziele wie Mallorca mied.

Das änderte sich Anfang der achtziger Jahre: Plötzlich fiel auf, daß der gastronomische Standard dem von einfachen Herbergen im Bayerischen Wald entsprach – aber etwa fünfmal so teuer zu bezahlen war. Eine kurzfristige Konjunktur gab es schließlich nach der Wende. Doch dann flaute das Interesse ab: Inzwischen war auch für Urlauber aus dem Osten der Republik unübersehbar, daß die touristische Infrastruktur der Insel auf unangenehme Art an die marode DDR erinnerte.

Eine kleine Gruppe von eingeborenen, aber auf dem Festland erzogenen Insulanern probte schließlich den Aufstand gegen die Vätergeneration, die am liebsten gar nichts ändern wollte. In einem Volksentscheid unter den 1.650 Einwohnern setzte sich ein Konzept durch, das es beispielsweise Einzelhändlern von zollfreien Waren verbot, aus der Hauptfußgängerzone einen Billigschnäppchenmarkt zu machen. Statt dessen sollte Helgoland auf die Sparte des gehobenen Tourismus setzen.

Und mit den objektiven Vorteilen der Insel werben: einer guten, fast pollenfreien Luft, die selbst schwersten Allergikern bekömmlich ist. Gepriesen wird nicht allein die frische Luft, die vielen Sonnentage sommers wie winters. Geworben wird auch mit den erweiterten Anreisemöglichkeiten – per Katamaran braucht man mittlerweile nur noch zweieinhalb Stunden von Hamburg nach Helgoland, von Cuxhaven sogar nur noch eine für die siebzig Kilometer. Der Hafen wurde weitgehend vom Charme eines zerstörten Gewerbegebiets befreit; an seinem Rand haben Hummerbuden eröffnet, in ihnen sind Galerien, Boutiquen, Imbisse und Kramläden untergebracht worden. Es gibt seit vorigem Jahr sogar mehr als ein nichtdeutsches Restaurant; die örtlichen Hoteliers sind nach wie vor auf der Suche nach Küchen, die die Ansprüche von solventeren Kunden befriedigen können.

Auf dem Oberland der Insel – dessen Rundkurs immer an der Felskante längs etwa vier Kilometer lang ist – sind Kulturwanderpfade eingerichtet worden. Auf der Badedüne werden die Bretterbuden, in denen sowohl der Flughafen als auch einige Imbisse untergekommen sind, demnächst abgerissen – zugunsten einer Bungalowanlage, die dem dank seiner Vogelwelt naturgeschützten Platz ein gewisses Upper-class-Flair verleihen sollen. Kummer bereitet nur die Lange Anna, das Wahrzeichen Helgolands. Der aus dem Inselmassiv freigesprengte Felszacken aus Buntsandstein droht, wird der Sockel nicht stabilisiert, ins Meer zu stürzen.

Eigentlich ist Helgoland inzwischen wirklich eine schöne Insel geworden. Die Mühen der Renovierung zahlen sich aus. Letzten Sommer, als an der Nordseeküste des grauen Wetters wegen kaum Urlauber bleiben mochten, freute man sich auf Helgoland über einen leichten Anstieg der Dauergastzahlen. Alles paletti? Vielleicht. Anfang Mai eröffnet an der Mole das erste, so meinen die Helgoländer selbst, repräsentative Hotel der Insel: Das „Atoll“ wartet mit allem Komfort auf, der von Gästen erwartet wird, für die Übernachtungspreise von 150 Mark pro Person okay sind. Wenn nun noch jener Mann, der durch die verzweigten unterirdischen Gänge des Oberlandes – Zufluchtsorte im Krieg für die Inselbevölkerung – führt, künftig darauf verzichtet, am 20. April die Gäste mit leuchtenden Augen ein ums andere Mal auf „Führers Geburtstag“ hinzuweisen, wäre Helgoland wirklich eine Reise wert. Jan Feddersen

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