Schachmatt: Das Eintagswunder
■ Die plötzliche Genialität des Spielers Allwermann beunruhigt die Schachelite
Beim Superturnier in Wijk aan Zee (Niederlande) hielt Schach-Weltmeister Garri Kasparow am Frühstückstisch einen Monolog über die Gefahr, die dem königlichen Spiel droht. Den Namen Clemens Allwermann nahm er dabei zum ersten Mal in den Mund, war doch der Kreisligaspieler bis dato nicht einmal in der Rangliste der 10.000 besten deutschen Denkstrategen zu finden. Aber der Memminger agierte bei seinem Turniersieg in Böblingen plötzlich wie einer aus den Top 40 der Weltrangliste.
Die Kontrolle der Allwermann-Partien führte zu der Erkenntnis, daß der 55jährige in seinen Duellen im Schwäbischen meist die Züge ausführte, die auch das von ihm bei der Firma Chessbase bezogene Schachprogramm „Fritz 5.32“ vorschlägt. Allwermann leugnet zwar jeglichen Betrug, in Schachkreisen wird jedoch nur noch darüber gerätselt, mit welcher technischen Raffinesse der früher in der Unterhaltungselektronik tätige Frührentner seine Züge an einen Komplizen übermittelte und wieder von dessen Computer zurückerhielt.
Für den Vorstand des Schachbezirks Südschwaben kam die Nachricht aus Böblingen nicht überraschend, weil bereits früher „stets der Name Allwermann dabei war, wenn Schiebereien im Bezirk stattfanden“. Turnierleiter Peter Taschner verweist so auf dessen Teilnahme beim Open in Bad Wörishofen, wo eine Schwindelei aufflog. Der Amateur halbierte dort bei der Anmeldung kurzerhand seine Wertungszahl auf unter 1.000 und gedachte dadurch den Geldpreis für Anfänger einzuheimsen.
Der Deutsche Schachbund (DSB) rang sich zwar noch zu keiner Sperre durch, bei einer Präsidiumssitzung in Schwerin waren sich die Funktionäre aber über einen „begründeten Verdacht“ einig. Die Auswertung des Böblinger Opens für die Weltrangliste wird laut Präsident Egon Ditt „ausgesetzt“. Die Schiedsrichterkommission soll überdies prüfen, wie „Schachveranstaltungen vor der Möglichkeit geschützt werden können, daß mit elektronischen Hilfsmitteln betrogen wird“. Bundesrechtsberater Wolfgang Unzicker, pensionierter Richter und Weltklasse-Großmeister in den 50er und 60er Jahren, schloß einen „strafrechtlich relevanten Betrug“ nicht aus. Sollten die Ermittlungen des Bayerischen Schachverbandes, der mit der Affäre betraut wurde, definitive Erkenntnisse bringen, zieht der DSB vor den Kadi.
Die Profis würden es ihm danken, denn sie fürchten mittlerweile bei jedem Turnier Schummelei. In Neuseeland entwischte unlängst ein Spieler mit ähnlicher Wertungszahl wie Allwermann, als ein merkwürdiges Kästchen unter seinem Schal untersucht werden sollte. Als er wenig später ohne Schal zurück ans Brett kehrte, war seine Spielstärke rapide gesunken. Hartmut Metz
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