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Flatterleichter Forschergeist

Raumlösungen für Facettenblicke: Das Münchner Literaturhaus beehrt Vladimir Nabokov zu seinem 100. Geburtstag mit einer Gesamtschau der besonderen Art  ■ Von Sabine Leucht

War nun der Schriftsteller Schmetterlingsjäger oder der Schmetterlingsjäger Schriftsteller? Auch wenn praktisch jeder den Namen kennt, der hinter dem „Skandal“-Roman „Lolita“ steht, und allenfalls ein paar eingeweihte Lepidopterologen wissen dürften, warum der Gemeine Bläuling auch Nabokovs Blue heißt: Als Schmetterlingsforscher ist Vladimir Nabokov noch heute eine Kapazität; und er startete diese Laufbahn schon als Siebenjähriger. Seine ersten Gedichte fast zehn Jahre später waren also bereits angenagt vom Forschergeist der flatterleichten Art.

„Die Augen des Schmetterlings“ heißt die Ausstellung, die im Münchner Literaturhaus den Blick auf den russisch-amerikanischen Sprachverzauberer einmal anders, nämlich gleichsam durch sein eigenes, schmetterlingssüchtiges Facettenauge, wirft. Die Kuratorin Daniela Rippl und der Ausstellungsarchitekt Michael Hoffer gehen davon aus, daß die zwei großen Begabungen Nabokovs und die dazugehörigen Verfahren zusammengehören und einander erhellen.

Im Vorfeld von Nabokovs 100. Geburtstag am 23. April erwartet den Besucher also kein hinter Glas gesperrter Lesemarathon und auch kein naturkundliches Tafelwerk, sondern eine Wanderung durch die Seh- und Lebenswelten des vielsprachigen Dauerexilanten. Einige der Exponate werden zum ersten Mal in Deutschland gezeigt, was zum Teil der Pfiffigkeit der „spanischen Putzfrau“ (Rippl) von Nabokovs Sohn, Übersetzer und Nachlaßverwalter Dmitri, zu verdanken ist. Doch das Plus der Ausstellung ist der Verzicht auf Masse zugunsten eines klaren Blickwinkels und dessen Überführung in einleuchtende, begehbare Räume.

Der zentrale Raum ist die zweite Station – der „Forschertunnel“: Eine Art camera obscura birgt die Welt der literarisch und wissenschaftlich von Nabokovs Hand verewigten Flügelwesen sowie einige der Präzisionsinstrumente, die er für deren Bestimmung und Präparation benötigte. Daneben aber auch Hinweise auf lepidopterologisch-künstlerische Verbandelungen: So erfährt man zum Beispiel, daß Humbert Humbert und Lolita bei ihren Reisen durch die USA nur den Routen der Schmetterlingsexpeditionen von Véra und Vladimir Nabokov folgten. Und daß der Romancier in der Mimikry, dem detailversessenen Täuschungsmanöver der Natur, die „zweckfreien Wonnen, die ich in der Kunst suchte“, zu finden glaubte.

Ist es Mimikry oder eine mimetische Annäherung an die Ideen des Forscher-Künstlers? Auf einer spiralförmigen Wand erscheinen dessen Lebensdaten in gewendeter Chronologie: Vom Alterssitz inMontreux (1977 bis 1961) über die Wahlheimat USA (1960 bis 1940) und das europäische Exil (1940 bis 1919) führt der Weg zurück zur russischen Heimat (1919 bis 1899). Dabei ist die Spiralform keiner bloßen Lust an der Verräumlichung entsprungen. Nabokov selbst hat in „Erinnerung, sprich“ sein Leben mit einer Spirale verglichen und in „Die Gabe“ Tod und Geburt als „umgekehrtes Nichtsein“ gleichgesetzt. Und daß hier die russische Kindheit wie ein Embryo in der Biegung der Exiljahre geborgen ist, ist überdies ein hübsches Bild für das Schimmern der Vergangenheit durch die Textur selbst noch der amerikanischen Romane des „glücklichen Heimatvertriebenen“, der seine Wurzeln wie die Bereitschaft zum neuerlichen Aufbruch stets bei sich trug.

Spärlich ausgestattete „Heimat“- und „Exilkoffer“ – Lesekoffer vor allem – leiten in München über zum Rondell der „Wortverwandlungen“, wo der Besucher buchstäblich eindringen kann in die Schreibwerkstatt Nabokovs. Kurz vor der Ausstellungseröffnung war das Gestell noch nackt. Versprochen aber sind hintereinandergestellte Folien mit original Nabokovschen Kalauern, Krypto- und Anagrammen (Vladimir Nabokov – Vivian Darkbloom – Dorian Vivalkomb), die in „Ada or Ardor“ auf einzigartige Weise verdichtet sind. Unterschiedliche Lichteinfälle sollen die transparente Bespannung für Wort- und Geschichtsebenen durchsichtig machen. Für ein Textmosaik, wie man es – ohne ihm Zwang anzutun – mit den Tausenden von Facetten in Verbindung bringen kann, die das Schmetterlingsauge von der Welt entwirft.

„Die Wirklichkeit“, schrieb Nabokov einmal, „ist eine endlose Folge von Stufen, Wahrnehmungsebenen, Doppelbödigkeiten und infolgedessen unermeßlich, ungreifbar.“ Auch Nabokovs eigene, „andere“ Wirklichkeit ist eine der Splitter und Finten, der Tricks und Schlaumeiereien. Da paßt sich auch seine Leidenschaft für das Schachspiel gut ein. Und doch kommt das begehbare Spielbrett, welches das vorletzte Glied der Ausstellung bildet, ein wenig unentschieden daher. Als kleines Detail aus dem Leben eines Großen, das in einem anderen Zusammenhang womöglich weniger anekdotisch wirkte. Wie etwa am Ende, wenn Vladimir Nabokovs Leben noch einmal an uns vorbeizieht – linear diesmal und in Farbe –, da findet sich in einer Vitrine unter dem Bilderreigen die Zeichnung eines fiktiven Schmetterlings namens Arlequinus arlequinus. In dessen Rhombenmuster spiegeln sich noch einmal die Strukturmerkmale von Nabokovs Kunst: Ihre phantastische, filigrane, bunt schillernde Vielfalt.

Literaturhaus München, bis 28. März, täglich 10–18 Uhr.

Der Katalog, herausgegeben von Daniela Rippl, erschien im Alexander Fest Verlag Berlin, und kostet 58 DM.

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