Beten gegen das Rechtssystem

Mit einer Massendemonstration sagen Israels Ultraorthodoxe der Demokratie und dem Obersten Gericht den Kampf an. Doch auch ihre Gegner versammeln sich  ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul

Wie ein Murmelspiel mit vielen schwarzen Kugeln, unter die sich nur ein paar bunte verirrt haben, sieht es aus. Die buntgekleideten, meist jungen Leute lösen sich einer nach dem anderen aus der schwarzen Gruppe der religiösen Juden und setzen ihren Fußweg fort zur anderen Demonstration – der Kundgebung für Rechtsstaat und Demokratie. „Wegen Leuten wie euch mußte mein Vater aus dem Iran fliehen“, ruft ein erkennbar weltlicher Israeli in die Gruppe der Orthodoxen.

Israels ultraorthodoxe Parteien, die Rabbiner und die religiösen Antizionisten hatten für gestern zu einem Massengebet in Jerusalem aufgerufen. Ziel war es, gegen die, ihrer Meinung nach, einseitige Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs zu protestieren. Rabbi Ovadia Josef, geistiger Mentor der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei hatte Ende letzter Woche die Gemüter zusätzlich angeheizt, als er die Obersten Richter als „Bösewichter, die für das Unheil auf der Welt verantwortlich sind“, bezeichnete. Jedes orthodoxe Kind im Alter von acht Jahren kenne die Thora besser als sie. Vermittlungsversuche von Staatspräsident Eser Weizman und Premierminister Benjamin Netanjahu blieben erfolglos.

Die Menschenmenge, die sich – mit Plastikplanen nach Geschlechtern getrennt – auf dem alten Busbahnhof versammelt hat, bewegt sich bisweilen still vor sich hin, bisweilen laut „Amen“ rufend zum über Lautsprecher gelesenen Gebet. Die Rabbiner hatten versprochen, den Aufmarsch keine politische Veranstaltung werden zu lassen, doch die Spruchbänder sind eine klare Kampfansage an den Obersten Gerichtshof, der „das Volk spaltet“. Es gelte: „Kein Gesetz über dem Gesetz der Thora“. So deutliche Töne gegen den Rechtsstaat waren seit dem Mord an Premierminister Jitzhak Rabin im November 1995 kaum laut geworden. Anlaß für den Unmut gaben Urteile des Obersten Gerichts, das eine Reihe von städtischen Religionsräten dazu verpflichtete, die Vertreter der liberalen jüdischen Ausrichtungen, darunter auch Frauen, an den Sitzungen teilnehmen zu lassen. Die Stadträte hatten die Sitzungen zum Teil abgesagt oder den liberalen Kollegen den Zutritt versperrt. Sogar Innenminister Eli Swissa von der Schas- Partei hatte, laut Urteil der Richter, versucht, die Rechtssprechung zu hintergehen.

Unweit des höchsten Justizgebäudes versammelt sich die deutlich kleinere Gruppe von Demonstranten, die ihre Solidarität mit den Richtern kundtut – immerhin einige tausend um die weltliche Rechtssprechung besorgte Menschen. Das linke Parteienbündnis Merez, Reformjuden und Konservative, Frauengruppen, Homosexuelle und zahllose Studenten sind gekommen, nachdem sämtliche Universitäten im Land aus Solidarität den Lehrbetrieb am Nachmittag unterbrochen haben, um den Studenten die Teilnahme an der Gegendemonstration zu ermöglichen. Die Organisatoren betonen, daß es sich „keinesfalls um eine antireligiöse Demonstration handelt“, sondern um eine Solidaritätsbekundung für die Richter. Es könne nicht angehen, daß eine kleine Minderheit, die Demokratie ins Wanken bringt.