: Kuriere wollen sich selbst kurieren
Weil sie mit ihren bisherigen Arbeitgebern unzufrieden sind, starten Berliner Kuriere ab April mit einem selbstverwalteten Kurierdienst. Vorbild des „Inline Kurier“ ist ein ähnliches Unternehmen in Hamburg ■ Von Karin Wientgen
Berliner Kuriere erfahren sich ihr Brot hart. Häufig bringen sie es nur auf einen Stundenlohn von 10 Mark bei Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden. Nicht ganz unschuldig daran sind die etwa 100 Berliner Kurierunternehmen. Daher wollen einige Boten den Sprung in die Selbständigkeit wagen. Am 6.April soll die erste selbstverwaltete Berliner Kurierzentrale unter dem Namen „Inline Kurier“ starten.
Das Neue daran ist, daß der einzelne Kurier zum Miteigentümer der Vermittlungszentrale wird. „Jeder Kurier zahlt eine Mindesteinlage von 1.500 Mark an den Verein“, erklärt Rainer Haage, Sprecher des Inline Kurier-Vereins (IKV), der ein Drittel der Gesellschaft Inline Kurier GmbH hält. Wie auch bei anderen Kurierzentralen muß der Fahrer jeden Monat eine Gebühr an die Zentrale abführen. Der IKV strebt eine feste Monatspauschale von etwa 700 Mark für Biker und 1.200 Mark für Pkw-Fahrer an. Die Selbstverwaltung soll sich auszahlen: „Ich gehe davon aus, daß die Radfahrer es auf einen Stundenumsatz von mindestens 35 bis 40 Mark bringen und die Autofahrer auf 45 bis 50 Mark“, sagt Haage.
Davon können viele Kuriere zur Zeit nur träumen. Häufig bringen es die Fahrrad-, Motorrad- und Autoboten auf einen sehr viel geringeren Stundensatz. „Ich bin immer zehn Stunden unterwegs und mache dabei einen Umsatz von 300 Mark“, berichtet etwa Frank Jurettko, der für den Kurierdienst Falcon mit dem Motorrad unterwegs ist. „Die wenigsten, die ich kenne, kommen besser weg“, fügt er hinzu. Die Leute würden in Berlin ausgebeutet. Von den 300 Mark muß Jurettko noch mal 35 Prozent an die Zentrale für die Bearbeitung und den Funk zahlen — im Schnitt gängige Tarife bei den Kurierzentralen.
In jüngster Zeit sind die Gebühren noch mal gestiegen. Zum 1.Januar hat die größte Berliner Kurierzentrale Express ihre Preisstrukturen geändert und die Vielfahrer stärker belastet. Lag die Obergrenze für Fahrradfahrer früher bei 700 Mark, sind es jetzt saftige 1.230 Mark. Wie Jurettko sind etwa 90 Prozent der Berliner Kuriere selbständig. Und wie er leiden viele darunter, daß die Zentralen im Verhältnis zur Auftragslage zuviele Boten einstellen, so daß der einzelne nur wenige Aufträge erhält. „Für die Zentralen ist es schließlich egal, von wem sie ihre Gebühren bekommen, und die Kunden können so schneller bedient werden“, erklärt Jurettko.
Vorbild für den Berliner Inline Kurier ist das gleichnamige Unternehmen in Hamburg, das vor eineinhalb Jahren gegründet wurde und „sehr erfolgreich“ ist, wie der Gründer Jan Rieck stolz berichtet. Rieck: „Wir haben es in den eineinhalb Jahren auf knapp 180 Fahrer mit täglich 1.700 Aufträgen gebracht.“ Aus vielen Teilen Deutschlands sind schon Nachfragen von interessierten Kurieren gekommen. Die von Berliner Inline Kurier-Sprecher Haage angestrebten Stundenverdienste — 40 bis 45 Mark für Autofahrer und 30 bis 35 Mark für Fahrradfahrer — sind der Durchschnitt bei den Hamburger Inline-Fahrern.
Wie funktioniert die Selbstverwaltung? Auf der jährlichen Vollversammlung des Fahrervereins legen die Kuriere alle Bedingungen, etwa Preise und Funksystem, fest. Gleichzeitig erstellt man einen Kostenplan für das kommende Jahr und auf der Grundlage der Auftragslage wird dann festgelegt, wieviel zusätzliche Kuriere aufgenommen werden.
Rechtlich ist der Inline Kurier eine GmbH mit drei Gesellschaftern, von denen jeder ein Drittel des Gesamtkapitals hält: Neben dem Fahrerverein, in dem jeder der Kuriere Mitglied ist, sind die anderen Gesellschafter zwei Fahrerfonds, in denen Kuriere mit mehr Geld auf der hohen Kante weitere Einlagen machen können. Damit der Fonds nicht die Mehrheit und damit Macht über den Inline Kurier bekommt, hat man zwei von ihnen gegründet.
Auch in diesen Punkten will der Inline Kurier dem Hamburger Vorbild folgen. Der eine Fahrerfonds sei fast voll, wer sich noch beteiligen will, „muß sich beeilen“, sagt Haage. Der zweite Gesellschafter werde voraussichtlich der Hamburger Inline-Verein werden.
Die Resonanz unter den Berliner Kurieren sei „im wesentlichen positiv“, meint Kurier-Sprecher Haage. Bislang hat der IKV Berlin um die 50 Mitglieder. Angestrebt werden 100, damit sich der Verein trägt — Mitglieder werden also noch gesucht. Der Kurier Jurettko ist bereits aktives Mitglied geworden. „Zuerst bin ich ganz skeptisch gewesen“, sagt der Kurier. Er hatte Sorge, „den geringen Umsatz, den ich mache, ganz zu verlieren“. Aber das selbstverwaltete Modell habe ihn überzeugt.
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