: Ablaßhandel mit dem Weltkongreß
■ Der Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter des Dritten Reiches ist eigentlich eher ein Entschuldigungsfonds
Es war Wirtschaftswunderkanzler Ludwig Erhard, der erleichtert verkündete: Die Nachkriegszeit ist beendet. Die Deutschen dürfen nun endlich „aus dem Schatten des Dritten Reiches heraustreten“. Das war 1965, und die Bundesregierung hatte mit viel Mühe gerade das Bundesentschädigungs- Schlußgesetz (BEG) verabschiedet, das aber dann doch nicht zum Schluß führte. Und auch den Schatten nicht vertrieb.
Doch viele Geschädigte blieben von der Wiedergutmachung ausgeschlossen, vor allem die NS-Verfolgten in Osteuropa und Millionen von ehemaligen Zwangsarbeitern nichtdeutscher Herkunft. Diese große Gruppe wurde nicht einmal als NS-Verfolgte anerkannt – ganz so, als ob sie freiwillig und mit anständigem Lohn in der Rüstungswirtschaft malocht hätten. Bis in die jüngste Zeit hinein schmetterten deshalb die Gerichte alle individuellen Klagen mit Hinweis auf das BEG, das Potsdamer Abkommen und die Londoner Schuldenregelung ab. Ansprüche von Zwangs- oder Fremdarbeitern seien aus den Reparationsleistungen an frühere Feindstaaten zu begleichen, hieß es; seit der Wiedervereinigung wird dieses Argument durch die Variante ergänzt, daß die Bundesregierung für solche Fälle die Sühnestiftungen für Osteuropa eingerichtet habe. Das ist zwar alles richtig, aber nicht vergessen werden darf, daß die nicht vorhandene gesetzliche Regelung für eine Entschädigung der Zwangsarbeit immer ein Skandal gewesen war und immer noch ist.
Die in den nächsten Tagen zu schließende Vereinbarung über einen etwa 1,25 Millarden schweren „Versöhnungsfonds der deutschen Wirtschaft“ auch für nichtdeutsche Zwangsarbeiter ändert daran nichts. Die Benachteiligung bleibt, solange im Entschädigungsrecht nicht ausdrücklich Zwangsarbeit als spezifische Form der NS-Verfolgung festgeschrieben steht. Solange es keine gesetzlichen Grundlagen für die Entschädigung gibt, sind alle Leistungen konjunkturabhängig, bleiben nicht einklagbar, ähneln Geschenken, für die man sich dankbar erweisen muß.
Die Sorgen von Kanzleramtsminister Bodo Hombach, daß mögliche individuelle Klagen den in eine Stiftung gekleideten „Entschuldigungsfonds“ unterhöhlen könnten, sind mehr als berechtigt. Denn diese zirka 1,25 Milliarden Mark sind mitnichten Teil eines 1999er „Schlußgesetzes“, sondern vielmehr eine Art freiwillige Ablaßzahlung des Big Business, damit ihre internationalen Geschäfte künftig nicht durch unangenehme Forderungen gestört werden. Da kann Hombach noch soviel von „Rechtssicherheit“ für die deutsche Wirtschaft reden – er wird noch Überraschungen erleben.
Folgenreich ist das Procedere aber aus einem anderen Grund. Die Deutsche Bank drückt nur deshalb so auf die Tube, damit ihr Deal – Übernahme von Bankers Trust – nicht durch Druck des Jüdischen Weltkongresses auf die amerikanischen Aufsichtsbehörden scheitert. Das ist ihr gutes Recht, denn Global Players müssen weitsichtig denken, und einen Kanzleramtsminister an der Seite zu haben ist ein sehr kluger Schachzug. Es ist gut möglich, daß es in Zukunft zum guten Ton gehören wird, daß deutsche Firmen erst einmal in den „Entschuldigungstopf“ einzahlen, bevor sie US-Aktien kaufen. Diese Art von „Wiedergutmachung“ bewegt sich genau auf der Linie, die die Bundesrepublik seit ihrem Bestehen praktiziert, nämlich erst dann nach gesetzlichen Grundlagen zu suchen, wenn die internationale Reputation des Landes auf dem Spiel steht.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich also in einem Aufholprozeß – mit dem wichtigen Unterschied, daß die „Wiedergutmachung“ durch die Industrie nicht durch Gesetze gefesselt, sondern eine freiwillige Spende ist. Sicher, das ist besser als nichts und obendrein ein klares Eingeständnis, daß die Wirtschaft ganz herrlich unter dem Primat der NS-Politik Mehrwert einsammeln konnte. Dies gilt auch für US-Konzerne in Nazideutschland. Es wird interessant, ob Ford oder General Motors (Opel), die ihre Lastwagen und Flugzeugteile auch von Zwangsarbeitern montieren ließen, in diese Stiftung einzahlen werden.
Peinlich an den ganzen Verhandlungen ist, daß der Jüdische Weltkongreß in diesem Spiel so ungebrochen aktiv agiert. Was treibt eigentlich diese Institution in die Rolle einer Oberwächter-Finanzbehörde, die eine Art Sondersteuer für internationale Geschäfte erheben will? Für internationale Wiedergutmachungs-Agreements ist bisher die Jewish Claims Conference mit einiger Berechtigung zuständig. Will man durch Ausschaltung des JCC den freiwilligen Charakter der Abmachungen unterstreichen, impliziert dies, daß es zu zwischenstaatlichen Regelungen auf gar keinen Fall kommen soll, weil diese ja vielleicht verbindlich werden könnten?
Oder sollen etwa nur die jüdischen Sklavenarbeiter aus diesem zukünftigem Big-Business-Topf entschädigt werden, nicht aber die Millionen von Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, Tschechen, Balten, die in die Züge der Reichsbahn gepackt und hier ausgekippt worden sind? Warum beteiligt sich der Jüdische Weltkongreß an solchen Ablaßhändeln, die nur das antisemitische Klischee von den jüdischen Drahtziehern bedient? Es war schon schlimm genug, daß er gedroht hatte, die amerikanische Bankenaufsichtsbehörde unter Druck zu setzen, wenn die Deutsche Bank nicht zahlen will.
Muß er jetzt auch noch durch seine Unterschrift besiegeln, daß alles in Ordnung ist, der Deutschen Bank ausdrücklich grünes Licht für ihre Übernahmegelüste geben? Es ist eine Sache, wenn ehrgeizige Anwälte gegen enorme Erfolgshonorare Sammelklagen gegen einzelne Konzerne durchfechten wollen. Eine andere Sache ist es, wenn eine Partikularinteressen vertretende Organisation sich wie eine Genehmigungsbehörde für multinationale Geschäfte benimmt.
Wieviel kosten ein kaputter Rücken, ein verhärtetes Herz, wie teuer sind geraubte Jugendjahre? Der Jüdische Weltkongreß hat, weil er nicht Verhandlungen moderierte, sondern Bedingungen stellte, seinen Anteil daran, daß Kategorien wie Moral in Fußnoten verschwinden.
Weil in Deutschland der Topos vom „Schatten des Dritten Reiches“ schon immer als ein Synonym für Reparationen, Restitutionen, Entschädigungen begriffen wurde, kann der Jüdische Weltkongreß jetzt mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen, die Industrie aus dem Dunkeln befreit zu haben. Kanzler Schröder, bedanken Sie sich dafür, daß Ihnen schon wieder jemand anderes die Arbeit abgenommen hat. Anita Kugler
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