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Als Lohn gab es nur eine Stulle mit billiger Wurst

■ Die Zahl der überlebenden Zwangsarbeiter im Osten schwankt zwischen 300.000 und 800.000

Berlin (taz) – Wer Ansprüche an den „Versöhnungsfonds“ geltend machen kann, ist schwer zu schätzen. Die Zahl der überlebenden Zwangsarbeiter im Osten schwankt zwischen 300.000 und 800.000 Menschen. 1996 noch sprach das Finanzministerium von mehreren hunderttausend Überlebenden. Die frühere Bundesregierung hat wahrscheinlich die Zahlen eher hochgerechnet, um vor Entschädigungsforderungen zu warnen.

Die noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter bilden den Überrest eines riesigen Sklavenheeres, das die Kriegswirtschaft der Nazis am Laufen hielt. Laut Schätzungen des Historikers Wolf Gruner arbeiteten im Deutschen Reich im Spätsommer 1944 rund 5,9 Millionen Ausländer, 1,9 Millionen Kriegsgefangene aus 26 Ländern sowie 400.000 KZ-Häftlinge. Mehr als 30.000 Arbeitslager existierten allein in Deutschland, die besetzten Gebiete waren gleichfalls mit einem System von Zwangsarbeitslagern überzogen.

Kein deutscher Unternehmer ist gezwungen worden, auch nur einen Zwangsarbeiter oder KZ- Häftling zu beschäftigen. Wie sehr sich die deutschen Firmen um das ihnen anvertraute „Menschenmaterial“ kümmerten, geht aus unzähligen Berichten hervor, zum Beispiel dem von Waltraud Blaß: „Die Zwangsarbeit bei Siemens war in Wechselschichten aufgeteilt, dauerte also jeweils zwölf Stunden. Von der Firma wurde beim Abmarsch von der Arbeit jeder Frau eine Schnitte Brot mit billiger Wurst in die Hand gegeben. Das war der ganze Siemenslohn für zwölf Stunden Zwangsarbeit.“

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