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„Was guckt ihr so, ihr Eierköppe?“

■ Vor dem Landgericht muß sich ein Skinhead verantworten, der vorigen Sommer in der U-Bahn einen Türken mit einem Klappspaten niederschlug

Es geschah vergangenen Sommer in einem gut besetzten U-Bahn-Waggon: Auf den Querbänken in der Mitte sitzen zwei junge türkische Berliner. Auf der anderen Seite des Ganges hat ein glatzköpfiger junger Mann Platz genommen, seiner Kleidung und nicht vorhandenen Haartracht nach eindeutig ein Skinhead. Über das, was dann geschieht, gehen die Aussagen weit auseinander. Fakt ist: Wenig später schlägt der Skinhead einen der beiden Türken mit einem Klappspaten nieder, den er in einer Plastiktüte bei sich trug. Während der Türke blutüberströmt am Boden liegt, flüchtet der Täter an der nächsten U-Bahn- Station. Keiner der Fahrgäste greift ein.

Seit gestern bemüht sich das Landgericht aufzuklären, was an jenem 24. August 1998 gegen 20.20 Uhr in der U-Bahn-Linie 6 zwischen den Stationen Wedding und Schwartzkopffstraße geschah. „Viele Fahrgäste haben es gesehen, aber keiner wollte etwas damit zu tun haben“, sagte der Vorsitzende Richter Hartmut Füllgraf. Dem Gericht stehe daher kein unparteiischer Zeuge zur Verfügung.

Auf der Anklagebank sitzt der 22jährige Gerüstbauer Dirk K. aus Marzahn. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag und schwere Körperverletzung vor. Das Opfer, der 21jährige angehende Einzelhandelskaufmann Ergün E., hatte eine lebensgefährliche Schädelverletzung erlitten, die er nur durch ärztliche Intensivmaßnahmen überlebt hatte. Noch heute ist die Bewegungsfähigkeit seines einen Beines stark eingeschränkt.

Der Angeklagte war drei Wochen flüchtig, bevor er anhand seiner auffälligen Tätowierung von der Kripo in einem Köpenicker Lokal verhaftet werden konnte. Hinter seinem rechten Ohr trägt er die grüne Inschrift „Stolz und Treue“. In der U-Bahn hatte er damals eine Bomberjacke, Springerstiefel, Koppelschloß und eine dreiviertellange Hose getragen, aus der ein mit einem Eisernen Kreuz tätowiertes Bein herausragte. Vor Gericht erschien er in einem hellblauen Hemd und einer beigen, zeitlosen Hose. Die Haare hat er sich in der U-Haft auf Streichholzlänge wachsen lassen.

Die Tat stellte der Angeklagte als eine Art Notwehr dar. Das Opfer und dessen Begleiter, der gerade seinen Wehrdienst ableistete und Uniform trug, hätten sich auf türkisch über ihn unterhalten und mit Fingern auf ihn gezeigt. Dabei seien Provokationen wie „Nazischwein“ oder „Fascho“ gefallen. Dann seien die Türken aufgesprungen und auf ihn zugekommen. Da habe er Panik bekommen und mit der Plastiktüte um sich geschlagen.

Der pausbäckige Angeklagte gab sich alle Mühe, sich als unpolitisch darzustellen. Er habe sich von dem Wort Nazischwein diskriminiert gefühlt, weil er gänzlich unpolitisch sei. Er sei ein Anhänger der englischen Skinheads, die sich der Arbeiterklasse verbunden fühlten. Als Verteidiger hat sich Dirk K. jedoch den früheren Bundesvorsitzenden der 1994 verbotenen neonazistischen Wikingjugend ausgesucht. Außerdem wies der Staatsanwalt darauf hin, daß in der Wohnung des Skinheads, der bei seinen Eltern lebt, zahlreiche CDs mit rechtsextremistischer Musik gefunden worden waren.

Die türkischen Zeugen stellten den Tathergang ganz anders dar. Zunächst habe Dirk K. auf das Namensschild auf der Bundeswehruniform „gestarrt“ und sie dann provozierend gefragt: „Was guckt ihr so, ihr Eierköppe?“ Dann sei er aufgesprungen und habe mit der Plastiktüte ausgeholt. Sie hätten mehrere Schläge abwenden können, doch dann sei Ergün E. niedergestreckt worden. Trotz mehrmaliger Nachfrage der Richter blieben die beiden Zeugen dabei, daß sie sich in der U-Bahn nicht über den Skinhead unterhalten hätten. Sie hätten lediglich über einen türkischen Comic- Film gesprochen, in dem ein „Fascho“ vorkomme. Damit sei aber nur der türkische Großgrundbesitzer in dem Film gemeint gewesen.

Bei einer früheren polizeilichen Vernehmung hatte der Bundeswehrsoldat allerdings zugegeben, daß sie in der U-Bahn über den Rechtsradikalen gesprochen hätten. Ergün E. betonte, im Gegensatz zu anderen Jugendlichen sei er nicht auf Schlägereien mit Skinheads aus.

Die Tat hatte seinerzeit auch deshalb für Aufsehen gesorgt, weil sich der polizeiliche Staatsschutz geweigert hatte, zu ermitteln. Er hatte die Auffassung vertreten, daß es sich um keine politisch motivierte Straftat handelte.

Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt. Plutonia Plarre

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