: In Englands Norden lacht niemand über Rudys Witze
■ Der Niederländer Ruud Gullit, bis vor kurzem noch Großbritanniens fußballerischer Liebling, erlebt beim Tabellenzwölften Newcastle United seine Entmystifizierung als Trainer
Newcastle-upon-Tyne (taz) – In der Umkleidekabine des englischen Erstligisten Newcastle United glaubten einige Fußballer, der Erlöser sei auferstanden. „Der Messias!“ riefen sie. Auf einer Trage war Mittelfeldspieler Gary Speed im Pokalspiel gegen die Blackburn Rovers (0:0) vom Platz getragen worden. „Der bleibt eigentlich nur am Boden liegen, wenn er tot ist“, sagte Speeds Mittelfeldpartner Dietmar Hamann – und so waren Newcastles Profis überrascht, Speed nach dem Schlußpfiff putzmunter in der Kabine zu finden. Es ist nicht bekannt, ob Trainer Ruud Gullit (36) sofort kapierte, daß die „Messias“- Rufe Speed galten, oder ob er sich selbst angesprochen fühlte. Der Niederländer, einer der besten Fußballer seiner Generation, findet sich nämlich ziemlich gut.
Selbst in T-Shirt und Lederjacke wirkt er elegant. Er kann komisch und ernst in einem sein; Konnte noch nie gut verlieren: Ruud GullitFoto: AP
„sexy Fußball“ ist seine berühmteste Wortschöpfung. Charmant und lässig gewann „Rudy“, wie ihn die Briten rufen, 1997 in seinem ersten Job als Trainer, beim FC Chelsea, neben dem hochgeschätzten englischen Pokal auch gleich die Zuneigung der Nation. „Wie Wasser auf einer ausgetrockneten Zunge“, erschien Gullit der Zeitung The Times. Nun, anderthalb Fußballjahre später, werden die Fragezeichen nachgereicht.
Fünf Monate nach Gullits Amtsantritt in Newcastle hängt der Verein, der zu den zehn umsatzstärksten der Welt zählt, noch immer auf Platz zwölf herum. The Times registriert einen „Guerillakrieg“ zwischen Mannschaft und Trainer. Gullit will das von seinen Vorgängern für über 100 Millionen Mark zusammengekaufte Team umbauen – da sind Konflikte programmiert. Gullit heizt sie an, statt sie zu schlichten. Er redet wenig mit den Profis und kritisiert sie statt dessen in den Medien. Das Training läßt er in der Regel seinen Assistenten machen. Gullit schaut nur zu, die Hände in den Hosentaschen, ohne etwas zu sagen. Spätestens seit er Mitte Dezember das Team für eine Trainingswoche allein ließ und zu seiner Freundin nach Amsterdam flog, fragen sich die Spieler, wie ernst er die Arbeit nimmt. Gullits selbstgerechtes Gejammer nach Niederlagen über „Dinge, auf die ich keinen Einfluß habe“, erinnert daran, daß der vermeintliche Rudy Cool schon immer schlecht verlieren konnte. Sein Image ist hin. Werbeverträge für Schokokugeln und Pizza wurden nicht verlängert.
Doch wie gut ist er als Trainer? „Die Jury tagt noch“, schreibt der Evening Chronicle. Es gibt auch positive Details in Gullits Arbeit. Seit vier Wochen spielt Newcastle durchweg ordentlich. Auch am Sonntag gegen Blackburn waren trotz des dürftigen Resultats Fortschritte nicht zu ignorieren. Hinterher aber kam Ruud Gullit in den winzigen Presseraum des St. James's Stadion, gut gelaunt, charmant, und machte Witze, die nicht wirklich witzig waren. Früher kicherten die Zuhörer trotzdem immer. Und auch diesmal folgte lautes Gelächter. Ruud Gullit lachte über seine eigenen Bemerkungen. Als einziger. Ronald Reng
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