: Autos dürfen weiter auf dem Nordseestrand parken
■ Die Atommeiler laufen noch, die Ostseeautobahn wird gebaut: Die Grünen in Schleswig-Holstein stecken in der Krise. Einige fordern den Rücktritt des Umweltministers
Hamburg (taz) – Die Grünen in Schleswig-Holstein haben die Nase voll. Nicht nur von ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner, der sie „noch nie gemocht“ habe, wie die grüne Fraktionschefin Irene Fröhlich klagt. In erster Linie gehen sich die Grünen selbst auf die Nerven. Seit drei Jahren besteht das rot-grüne Regierungsbündnis, doch das „grüne“ Profil in klassischen Grünen-Domänen wie der Verkehrs-, Umwelt- oder Atompolitik blieb verschwommen.
Nach dreijähriger Regentschaft ist nicht ein einziger der drei Atommeiler im Land vom Netz. Statt dessen preist die grüne Landesvorstandssprecherin Monika Mengert den „Niedrigenergiehausstandard im sozialen Wohnungsbau“, wenn sie die grünen Regierungserfolge bilanzieren soll. Die Ostseeautobahn wird gebaut. Selbstverständlich „prüfen wir auch die ökologischen Aspekte“, sagt der parteilose Wirtschaftsminister Horst Bülck und schmunzelt dabei über die eigene Arroganz.
Schlecht behandelt fühlt sich auch die grüne Landtagsabgeordnete und Finanzexpertin Monika Heinold: „Die Erfahrungen in Bonn, daß der Koalitionsvertrag keine Bibel ist, sind für uns in Schleswig-Holstein Alltagsgeschäft“, seufzt sie. Doch für eine Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten fehlen den Grünen zunehmend Kraft und Zusammenhalt. Jetzt kommt der „Hessen- Schock“ dazu, wie der grüne Geschäftsführer Karl-Martin Hentschel sagt. Nach dem schlechten Abschneiden der Grünen in der hessischen Landtagswahl macht sich in der Partei Panik breit. In einem Jahr wird in Schleswig-Holstein gewählt. Mit vier Prozentpunkten Verlust wie in Hessen würden die Nord-Grünen, die 1996 8,1 Prozent der Stimmen holten, aus dem Landtag fliegen. Das Risiko ist nicht gering, und das haben sich die Grünen in erster Linie selbst zu verdanken: Selten waren Identitätskrise, Selbstzerfleischung und grün-grüne Beschimpfung für die Öffentlichkeit so hautnah mitzuerleben wie in der Woche nach der Hessenwahl.
Da drohte Landesvorstandssprecher Peter Swane in einem spontanen Wutanfall, die Koalition angesichts der „purpurroten Politik“ des Wirtschaftsministers platzen zu lassen. Er provozierte solcherart einen unnötigen Krach mit der SPD und mußte 48 Stunden später, von der eigenen Partei gerüffelt, kleinlaut beschwichtigen: War alles nicht so gemeint. „Das Bild, das die Grünen abgeben, erfüllt mich mit großer Sorge“, beklagt Willi Voigt, grüner Staatssekretär im Kieler Energieministerium, die mangelnde Souveränität.
Anstatt Geschlossenheit zu zeigen, hagelt es Schuldzuweisungen. Und die treffen vor allem die beiden prominentesten Parteimitglieder, die grünen Minister für Umwelt, Rainder Steenblock, und die Ministerin für Frauen, Angelika Birk. Enttäuscht über Birks politische Farblosigkeit unterstellen führende Parteifreunde ihr „schlichte Inkompetenz“. Die Ministerin, so heißt es, kümmere sich „um jeden Köterscheiß“.
Über Birks Platz auf der Landesliste wird offiziell zwar erst auf dem Landesparteitag im Mai entschieden. Doch für die Abgeordnete Heinold steht bereits fest, daß es kein aussichtsreicher sein kann: „Ich gehe davon aus, daß Fraktionschefin Fröhlich Spitzenkandidatin wird und daß ich für Platz drei kandidiere.“
Auch die Demontage ihres Umweltministers bereitet den Grünen wenig Skrupel. Steenblock hatte während der Pallas-Katastrophe im Wattenmeer ein jämmerliches Bild abgegeben. Jüngst stellte er auch noch Ausgleichsflächen für die industrielle Werkserweiterung eines Flugzeugbauers bereit. Außerdem dürfen im Nordseebad St. Peter-Ording weiterhin Autos auf dem Sandstrand parken. In der Zeitung durfte Steenblock den Rat von Fraktionschefin Fröhlich nachlesen, er solle sich doch mal „von berufener Seite schulen“ lassen. „Dieser Umweltminister schadet dem Naturschutz im Lande“, zürnen die Umweltschutzverbände BUND und NABU, „wir fordern Steenblocks Rücktritt.“ Dem schließt sich auch die grüne Landtagsabgeordnete Adelheid Winking-Nikolay an, „ich hoffe, Rainder hat die Größe dazu“. Die Häme der Opposition hätte nicht größer sein können.
„Solidarität war noch nicht die Stärke einer Partei, in der Kritik als Lebensphilosophie kultiviert wird“, analysiert der parlamentarische Geschäftsführer Karl-Martin Hentschel in seinem „Strategiepapier Grüne Modernisierer“. Was einige Grüne offenbar bestärkte, Steenblock, der für Platz 2 der Landesliste vorgesehen ist, mit einem „Gegenkandidaten“ zu drohen. Als einige aufmuckten, Steenblock sei als bekanntester grüner Landespolitiker unverzichtbar, faxte der Landesvorstand an die Redaktionen: „Der durch mißverständliche Äußerungen entstandene Eindruck, der Landesverband habe kein Vertrauen zu den entsandten Kabinettsmitgliedern, trifft in keiner Weise zu.“
Eine „Psychonummer von Frustbeuteln“ sei das, schimpft ein einflußreicher Parteifreund. Wohin die Grünen steuern, darüber dürfte auch auf dem Landeshauptausschuß der Partei am kommenden Samstag in Kiel angeregt diskutiert werden. Heike Haarhoff
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