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Monstren mit Gefühl

Ursache und Wirkung: Im Abaton läuft Kurz und schmerzlos mit Fatih Akins Lieblingsfilm Scarface  ■ Von Christian Buß

Hamburg-Altona ist nicht Miami, der Himmel ist hier meist verhangen, und statt sich an Swimmingpools zu räkeln, schaut man fröstelnd auf die Elbe. Den Hemdkragen trägt der Serbe Bobby in Kurz und schmerzlos trotzdem weit aufgeknöpft wie Al Pacino als Scarface, und irgendwann besorgt er sich eine Wumme – auch wenn er sie gar nicht benutzen will. Schließlich ist „Pätschino“, wie ihn der Heißsporn nennt, sein großes Vorbild. Und ohne Vorbild kommt niemand aus. Nicht mal der von Al Pacino verkörperte „Scarface“ selbst. Denn Tony Montana, so der bürgerliche Name des aus Kuba geflüchteten Kleinkriminellen, spuken ebenfalls Mythen im Kopf herum: Cagney und Bogart und all die anderen, die sich ihren Weg durch den rechtsfreien Raum des amerikanischen Kapitalismus geboxt haben – oder dabei doch zumindest ansehnlich auf der Strecke geblieben sind.

Wenn am Montag Fatih Akin in der Reihe „Best of 98“ im Abaton noch einmal sein Spielfilmdebüt Kurz und schmerzlos vorstellt, wird im Anschluß als Wunschfilm Brian de Palmas Scarface gezeigt. Eine gute Gelegenheit, zu prüfen, von wem sich Akin und seine Helden inspirieren ließen. Natürlich sind Scarface und Kurz und schmerzlos zwei Filme ganz unterschiedlichen Kalibers – der eine bilderberauschte Oper, der andere Milieustudie aus Hamburg-Altona. Sie trennt mehr, als sie eint. Allerdings sind der Italo-Amerikaner und der Hamburger Regisseur türkischer Herkunft wenig skrupelös bei dem Recyceln (und der anschließenden Demontage) von Ikonen. Zusammengenommen ergeben die Filme eine interessante Kette aus Ursache und Wirkung.

Da ist Tony Montana, der kubanische Flüchtling, der so agiert, wie er es bei den Mafioso-Darstellern des klassischen Hollywood gesehen hat. Nur daß seine Flüche harscher sind, seine Mittel härter und seine verdrehten Moralvorstellungen monströser. Und da sind der Serbe Bobby, der Grieche Costa sowie der Türke Gabriel, die schon zigmal Pacino alias Montana auf Video gesehen haben, sich seine überlebensgroße Gestik einverleiben, aber eigene Dialekte in ihre Sprache und Körpersprache einbringen. Und es ist die große Leistung von Fatih Akin, daß er die drei nicht nur als Zugehörige von ethnischen und subkulturellen Gemeinschaften agieren läßt, sondern als autonome psychologische Gestalten. Deshalb ist Kurz und schmerzlos ja auch der wichtigste hierzulande entstandene Film des letzten Jahres: weil die andere Ethnie als Selbstverständlichkeit und nicht als Problem ins Kino kommt. Deutschland ist ein Land, in dem Migranten ganz unterschiedlicher Provenienz schon in der dritten Generation leben. Akin trägt diesem Umstand auf ganz unaufgeregte Weise Rechnung.

Scarface ist da mit all seinen enthemmten Ex-Kubanern natürlich alles andere als ein Plädoyer für die USA als Einwanderungsland. Deshalb gab es ordentlich Kritik, als der Melo-Schocker 1982 ins Kino kam. Demagogie und Gewaltverherrlichung sind nur zwei Punkte, die man de Palma vorgeworfen hat. Allerdings ist das unaufhaltsames Narbengesicht ein Charakter, der in seiner Zerrissenheit stärker ist, als das die Kritiker wahrhaben wollten. Eine Figur von tragischer Größe. Ein Mann, der ohne Emotion mordet, aber zerbricht, als in der Eskalation der Gewalt sein verquerer Katholizismus den Bach runtergeht. Pacino spielt Montana als gefühliges Monstrum, de Palma spiegelt seine Komplexität mit technischer Innovationsfreude. Der Regisseur hat sein Handwerk drauf, aber manchmal – das ist bekannt – neigt er zur Esoterik. Da gerät seine Strategie ins Schwimmen. Warum er Montana zum Schluß noch eine inzestuöse Sehnsucht nach seiner Schwester anhängt, bleibt unklar. Aber da ist der sensible Grobian ja auch schon ganz alleine in seiner waffenstrotzenden Villa, hat bereits zwei mittelgroße Plastiktüten Koks durch die Nase gezogen und stellt sich mit vorgehaltener MG einer Horde befeindeter Gangster. Große Oper.

Verständlich, daß sich Fatih Akin beeindruckt gezeigt hat. Am besten ist der Hamburger allerdings, wenn er die Geschichte mit eigenen Mitteln erzählt. Wenn er zur Dynamik der Eskalation – die schneller geschnittenen Bilder, die überhitzten Bewegungen der Figuren – eigene Motive findet. Daß die Helden in Kurz und schmerzlos etwa in einem heruntergekommenen R 4 zum Waffendeal ankarren, hat Stil; daß dieser Waffendeal allerdings ausgerechnet in einer Lagerhalle stattfindet, entspricht dann doch nur wieder dem Klischee. Aber so kann es gehen, wenn man als Filmfreak das eigene Leben verfilmt – da geraten die Dimensionen schon mal durcheinander. Aber auch dafür lieben wir Fatih Akin.

Mo, 22. Februar, 20 Uhr (“Kurz und schmerzlos“) und 22.30 Uhr „“Scarface“), Abaton. Fatih Akin ist anwesend.

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