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Tauwetter in der Kesselhalle

■ Das Varieté-Trio „Lovely Bastards“ meisterte bravourös selbst die schwerste Prüfung – und brachte BremerInnen zum Lachen

Das Leben ist hart. Wie schnell sagt man das, nur weil einem gerade der einzige Job gekündigt wurde, die langjährige Ehe in die Brüche gegangen ist oder der fiese Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Na und? Shit happens halt sometimes. Aber wissen Sie, was wirklich hart ist?

Eine große Kesselhalle. Nicht mal 50 Menschen darin. Allesamt BremerInnen in der für sie typischen Amüsierhaltung – bis zu den Zähnen gefroren. Und nun die Aufgabe: Bringen Sie diese genetischen KaltblüterInnen in 90 Minuten dazu, daß sie sich vor Lachen die Bäuche halten und zugleich mit den Füßen vor Begeisterung auf den Boden trampeln. Und, damit es nicht zu einfach wird, bewerkstelligen Sie all das, ohne auf einen vorab gegebenen Sympathiebonus rekurrieren zu können.

Sie müssen zugeben: Das ist wirklich hart. Grausam geradezu. Und ein jeder, der sich ungeachtet der ziemlich großen Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens dennoch auf die Bühne wagt, verdient unabhängig vom Ausgang den uneingeschränkten Respekt. Wie aber soll man dann in angemessen Worten ein Trio würdigen, das diese Aufgabe sogar löst?

Dabei ging der Start gründlich daneben. Bereits Sekunden nach der Bühnenerstürmung forderten die „Lovely Bastards“ aus Berlin die sichtlich überforderten Anwesenden schon zum Mitsingen eines mäßig vorgetragenen Popsongs aus der Steinzeit-Ära auf und erzählten dazu auch noch Witze, deren Pointen sie in der Umkleidekabine liegen gelassen hatten. Sagen wir es positiv: Es konnte nur besser werden.

Und in der Tat: Bis zur Pause waren es vor allem ebenso konventionell wie professionell vorgetragene Varieté-Nummern, die erste Sympathien für die „Lovely Bastards“ aufkeimen ließen. Wenn sich der chronisch depressive „Sir“ Wessels nicht gerade (und immer vergeblich) dem Versuch widmete, sich per Strick, Messer, Föhn oder Wasserbehälter ins Jenseits zu befördern, beeindruckte er durch virtuose Balljonglagenummern. Jojo Weiß grimassierte sich kalauernd von einem entzückenden Schüttelreim zum nächsten und zeigte bemerkenswerte Soli auf der „Mundposaune“. Und Nil Reinsberg schließlich verbrannte nicht nur den vom Gast Wilfried geliehenen 100-Mark-Schein, sondern zauberte kleine rote Bälle aus der Hosentasche über den Rücken in den Knobelbecher, wo sie als Zitrone ankamen, in der sich ganz nebenher noch Wilfrieds sauer eingelegter, fast unversehrter Geldschein wiederfand.

Das begeisterte nicht nur den Wilfried. Ebenso wie das Finale der offenen Tischtennismeisterschaften zwischen der „Queen of Table Tennis“ Wessels und dem „King Kong of Ping Pong“ Weiß, das in Wessels, der die Bälle aus allen Lagen mit dem Mund fing und artistisch zurück auf die Platte rotzte, einen absolut verdienten Sieger hatte. Wenn Nil Reinsberg nicht gerade als schmieriger Fernsehmoderator der Game-Show „Raten & Warten" Joghurts „mit viel Kultur drin“ an Wilfried verschenkte, machte er als virtuoser Bauchredner von sich reden, der unter anderem einem hydrophoben „Waschlappen für den Arsch“ seine Stimme lieh, der sich unglücklich ins Shampoo verliebt hatte.

Unbestreitbarer Höhepunkt des Abends war schließlich, neben der Aufnahmeprüfung von Jojo Weiß am Kaufbeurer Musikkonservatorium, der gemeinsame Auftritt von Nil Reinsberg und – nein, diesmal nicht Wilfried, sondern Thomas und Ingrid aus dem Publikum, die wortlos den Mund bewegten und zusehen mußten, wie Reinsberg dazu einen bauchrednerischen Dialog improvisierte.

Natürlich war auch der ein oder andere miserable Scherz zu ertragen. Musikstücke, die die Welt nicht braucht, wurden ebenfalls zum besten gegeben. Und trotz Heavy-Metal-Beschallung und alberner Boygroup-Parodien war vom angekündigten „Varieté der 90er Jahre“ nicht viel zu sehen. Aber solche Ankündigungen sollte man eh nicht zu ernst nehmen. Im Zeitalter des Events muß man sich halt so verkaufen. Selbst wenn es sich letztlich nur um drei entzückende junge Herren handelt , die einen Abend mit Jonglagen, Musik- und Comedy-Einlagen richtig nett gestalten können. zott

Die „Lovely Bastards“ gastieren noch bis zum Sonntag (21. Februar) allabendlich um 20 Uhr in der Kesselhalle des Kulturzentrums Schlachthof

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