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Schuld und Söhne

■ Moral, Justiz, Wahnsinn: Yoshimitsu Moritas Wettbewerbsbeitrag "Keiho Dai Sanjyukyu Jyo" zeigt ein düsteres Bild vom heutigen Japan

Der Film beginnt wie eine „Cracker“-Episode oder irgendein amerikanischer Thriller. Die junge Psychologin Kafka (!) Ogawa (Kyoka Suzuki) soll ihrem Professor bei der Klärung der Frage helfen, ob der Angeklagte (Shinichi Tsutsumi) in einem brutalen Doppelmord zurechnungsfähig ist oder nicht. Weist man ihm Geisteskrankheit nach, kann Masaki Shibata gemäß dem 39. Artikel der japanischen Verfassung nicht (zum Tode) verurteilt werden.

Aber es ist doch nur die Prämisse, die einem bekannt vorkommt. Schon die Rückblende zum Tatort, eine hektische wie eindrucksvolle Montage von Bildern und Wortfetzen, verbindet nichts mit Hollywood.

Nicht um die Bluttat geht es in „Keiho Dai Sanjyukyu Jyo“ des japanischen Regisseurs, Autors und Schauspielers Yoshimitsu Morita, sondern um deren Beweggründe. Shibatas Erklärung, er habe die schwangere Frau und ihren Ehemann hingeschlachtet, weil sie sein Theaterstück „Der Zeugenstand“ kritisierte, klingt nicht überzeugend (daß es in dem Stück um Kannibalismus geht, gehört zu den subtil-verstörenden Momenten des Films).

Seine wiederholten gewalttätigen Ausbrüche und seine Erwähnungen des „anderen“, des „Bastards“, überzeugen zumindest den Psychologieprofessor davon, daß der Angeklagte ganz klar schizophren ist bzw. unter multiplen Persönlichkeiten leidet. Damit wäre der Fall für die stumpf teilnahmslos lächelnden Richter eigentlich erledigt. Regisseur Morita und seine unsichere Hauptfigur machen es sich nicht so leicht. Kafka Ogawa, die bei ihrer offensichtlich kochwütigen/eßsüchtigen Mutter wohnt, dringt langsam in die Welt des Angeklagten vor und entfernt die Fassaden Schicht um Schicht. Bruchstücke werden deutlich – vom betrunkenen Vater, der seinen Sohn am Strand bis zum Hals eingrub, um ihn dann zu drangsalieren.

Vom Mord eines Triebtäters an der sehr jungen Schwester und der Tatsache, daß der Mörder, offensichtlich geisteskrank, nach sechs Monaten aus der psychiatrischen Anstalt als vermeintlich geheilt entlassen wurde.

Im Mittelpunkt steht und auf der Anklagebank sitzt hier die japanische Gesellschaft. Selbstzufrieden, immer den einfachsten Weg gehend, ohne langfristige Konsequenzen zu bedenken und patriarchal bis ins Mark. Dümmlich die Richter, dümmlich auch der Kommissar, der Kafka tabakkauend begleitet: die Arroganz eines Staatsapparats, für die der vorliegende Fall möglichst flott in die Akten gehört.

Die Beziehung zwischen Kafka Ogawa und dem Mord-Angeklagten eröffnet der Film nur sehr langsam.

In Nebensätzen erfährt man, daß Kafkas Vater jemanden ermordet hatte, den Mutter wie Tochter nicht leiden konnten, eine „Schuld“, die niemand der jungen Frau abnehmen kann. „Menschen verschwinden nicht, wenn sie sterben“, heißt es einmal. Wie Moritas eindrucksvolle Arbeit mit ihrem (auch filmischen) Detailgespür beweist, können auch Tote töten. Thomas Klein

Japan 1998, 133 Min. R.: Yoshimitsu Morita. Mit Kyoka Suzuki, Shinichi Tsutsumi u.a.

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