: Die verlorene Ehre der jungen Nora
■ Markenzeichen Migrantenfilm: Während hierzulande deutschtürkische Filme durchstarten, ist es um Frankreichs „Cinéma beur“ arabischer Herkunft ruhig geworden. Eine Besichtigung
Seit geraumer Zeit deutete es sich an, geballt zeigte es sich beim Start der Berlinale: Eine neue Generation deutschtürkischer Filmemacher ist da, die neue Akzente setzt. In einer Art nachholender Entwicklung vollzieht sich damit, was andernorts bereits in den achtziger Jahren gelang: die Emanzipation des Einwandererfilms aus seiner sozialfürsorglichen Umklammerung.
Denn während in Deutschland komödiantische Spaßkultur und das Betroffenheitskino noch in voller Blüte standen, erhoben französische und britische Filme wie „Mein wunderbarer Waschsalon“ oder „Tee im Harem des Archimedes“ die Migrationsthematik erfolgreich zum Markenzeichen. „Cinéma beur“ nannte sich das Kino, das die Perspektive der zweiten Generation maghrebinischer Einwanderer in Frankreich einnahm.
Was aus diesem Cinéma beur geworden ist, läßt sich derzeit, parallel zur Berlinale, im Berliner Haus der Kulturen der Welt besichtigen, im Rahmen einer Retrospektive des arabischen Filmfestivals von Karthago. Neben ägyptischen, marokkanischen und libanesischen Autorenfilmen hat das Cinéma beur dort seinen festen Platz. Ein Schmuckstück dieser Schule ist Rachid Boucharebs „L'honneur de ma famille“ (Frankreich/Algerien 1997). Die junge Nora, Tochter algerischer Einwanderer in einer französischen Kleinstadt, führt ein Doppelleben: Nachts arbeitet sie in einer Techno-Disco jenseits der Grenze in Belgien, offiziell täuscht sie Nachtschichten in einem Krankenhaus vor. Mit ihrer Freundin Carole plant sie einen gemeinsamen Goa- Trip, doch dann wird sie unfreiwillig schwanger. Die Eltern wollen sie unter die Haube bringen und treiben den Naivling Hamid auf, dessen Mutter ein gutgehendes Textilgeschäft – Spezialität: Brautmoden – betreibt. Verliebt und angeregt durch Noras Spinnereien, vertieft er sich sogar in buddhistische Philosophie. Nora dagegen ist wenig begeistert von dem Muttersöhnchen, macht aber gute Miene. Daß es am Ende trotzdem zum Eklat kommt, liegt an Hamids mißtrauischer Mutter, die das Arrangement torpediert.
Pointiert, flott und mit umwerfenden Wendungen entwickelt Bouchareb seine Geschichte um Teenagerträume und -enttäuschungen. Er karikiert das maghrebinische Milieu mit seiner Enge, den neugierigen Blicken hinter den Gardinen und dem Klatsch und Tratsch, aber er denunziert seine Protagonisten nicht. Ihre Schwächen zeichnet er mit komischem Strich: Noras sturen Stoizismus und Indienfimmel, Hamids liebenswerte Naivität und Caroles Liebesnöte. Zwar landen alle Beteiligten am Ende im Krankenhaus, doch letztlich klingt das Ende optimistisch aus. Cinema beur at it's best.
Angestrengt fröhlich wirkt dagegen „100 % Arabica“ (Frankreich/Algerien 1997) von Mahmoud Zemmouri. Die Musikkomödie, die von den Auftritten der Rai-Sänger Khaled und Cheb Mami lebt, ist eine Art Banlieue- Heimatfilm, in dem die Fiesen und die Guten sauber zu scheiden sind. Das Viertel am Stadtrand von Paris, Ort der Handlung, ist eine multikulturelle Idylle, getrübt nur durch das Wirken einiger mißgelaunter Fundamentalisten. Musik oder Moschee? Tanzen oder beten? Klar, wo die Sympathien des Films liegen: Gib Fundis keine Chance! ist die Botschaft dieser Multikultiklamotte.
Auch in „La nuit du destin“ (Frankreich/Algerien 1997) spielt der Konflikt um die Religion eine Rolle. Ein algerischer Familienvater wird zufällig Zeuge eines Mordes und versteckt sich aus Furcht vor den Tätern. Es ist ein bißchen wie in „Der einzige Zeuge“, nur daß Muslime statt Mormonen involviert sind. Ein besserer „Tatort“-Krimi. Und so, wie in neueren „Tatort“-Folgen Behinderte oder andere Randgruppen stets politisch korrekt in Erscheinung treten, sind es hier die arabischen Figuren: Die algerische Familie zählt zur bürgerlichen Mittelschicht, der Imam der Moschee predigt Kooperation mit der Polizei, und der verdeckte Ermittler übt sich in Koranlektüre – auch, um der schönen Algerierin näherzukommen, in die er sich verliebt hat.
Obwohl Filmemacher der zweiten Generation in Frankreich keine Novität, sondern Normalität sind, pflegen sie noch immer eine Nische. Die inhaltliche und formale Vielfalt ihrer Arbeiten zeugt vom Potential, Anzeichen von Stagnation und Selbstgenügsamkeit sind aber unübersehbar. Im besten Fall gelingen erfrischende Komödien, die ein spezielles Lebensgefühl reflektieren. Im schlechtesten Fall droht oberflächliche Banlieue- Folklore. Etwa wenn bekannte Rai-Hits von Khaled in allen drei Filmen auftauchen – das wird dann postwendend zum Stereotyp. Daniel Bax
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