Liebe die Lügen

Kalt und Blau: „Die Farbe der Lüge“ von Claude Chabrol  ■ Von Brigitte Werneburg

Kann es am Farbton eines Filmes liegen, daß es einem während der rund zwei Stunden, die er dauert, durchweg friert? „Die Farbe der Lüge“, wie der deutsche Titel von Claude Chabrols „Au C÷ur du Mensonge“ lautet, ist jedenfalls Blau. Blau in all seinen kalten Variationen und noch kälteren Schattierungen. Mal wird es fast von der Nacht geschluckt, mal verschwindet es im Nebel, dann ziert es die makellosen echten Porzellanteller, und schließlich die so täuschend gemalten auf dem Bord. Und einmal, da sieht es sogar sexy aus, als blaues Fähnchen von Viviane (Sandrine Bonnaire).

Auch die Lüge kennt bei Chabrol ihre Varianten. Die mondäne, die zynische Lüge ist das Metier des Bestsellerautoren und Journalisten Germain-Roland Desmot (Antoine de Caunes), der politisch rechts wie links schreiben kann, Drieu La Rochelle freilich lieber zitiert als Karl Marx. Wir sind schließlich in den 90ern. Das professionelle Lügen gehört zum Beruf der Ermittlerin Frédérique Lesage (Valeria Bruni-Tedeschi), die so hinter die Wahrheit zu kommen sucht. Die Halbwahrheit, das Durchmogeln ist Sache von Viviane, die sich für die Verführungen Desmots anfällig zeigt, während René (Jacques Gamblin), durch einen Unfall am Stock gehend, schlicht aus Verzeiflung lügt. Viviane, seine Frau, scheint ihm genauso zu entgleiten wie seine Karriere als Künstler, als Maler, der vor allem im dekorativem Trompe-l'÷il triumphiert. Ja, sein ganzes Leben kommt ins Rutschen, als auch noch seine Schülerin Eloise vergewaltigt und ermordet aufgefunden wird. Kurz nachdem sie ihre Unterrichtsstunde bei ihm beendet hat.

Ist es wirklich die Lüge, deren Wege und Fallen Chabrol nachspürt? Oder ist es nicht eher die Verzeiflung, in ihrer stärksten Form, der verzweifelten Liebe, die er hier sezieren will? Denn für so höchst moralisch, daß er in jeder Lüge gleich eine Form der Verzweiflung erblickte, möchte man Chabrol nicht halten.

Die Frage ist schwer zu entscheiden. Über die bei ihm übliche Kriminalgeschichte gewinnt die Lügengeschichte an Gewicht. Über die Personenkonstellation Viviane, René und Desmot freilich herrscht die Verzweiflung. Herrscht Mißtrauen, herrscht Verachtung. Nicht allein wegen ihrer Dreieckskonstellation: Auch vom Dorf, seinen Bewohnern und besonders der Kommissarin ziehen Viviane und vor allem René den Verdacht auf sich. Zu guter Letzt, als auch noch Desmot tot aufgefunden wird.

Sein Tod und der des Mädchens werden geklärt. Die Lügen fliegen auf. Ein Dorfbewohner hat sich an das Mädchen rangemacht, aber René ist selbstverständlich auch nicht das Unschuldslamm, als das man den Außenseiter sehen möchte. Die Finessen, durch die der größere Teil der Wahrheit ans Licht kommt, inszeniert Chabrol in seinem 51. Film zweifellos meisterlich. Allein die verzweifelte Liebe ist allzu verzweifelt. René geht wirklich am Stock. Das vor allem spielt Jacques Gamblin aus. Und Viviane, die Krankenpflegerin, war sie ihm jemals etwas anderes als seine Krankenschwester?

Selbst Sandrine Bonnaire kann diese Tautologie ihrer Rolle nicht durchbrechen. Der Verzweiflung, ihren Lügen, ihrer Lust wußte Chabrol jedenfalls nur pastoses Öl abzugewinnen. Keinesfalls aber jenes neue transparente Trompe- l'÷il, das Viviane bei ihrer Rückkehr von Desmot zu Tränen treibt.

Regie: Claude Chabrol. Mit Sandrine Bonnaire, Jaques Gamblin, Valeria Bruni-Tedecsi u.a. F, 113 Min., Heute, 12 Uhr, Royal Palast; 21 Uhr Urania; 20.2., 20 Uhr International