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Er tanzt nicht auf Feten, sondern liest die Akten

100 Tage Innensenator Eckart Werthebach (CDU): Sein Vorgänger Jörg Schönbohm ist gescheitert. An ein wenig zu vielen nationalen Impulsen und seinem zu stürmischen Drängen nach rechts, auch in der eigenen Partei. Wie anders ist die Politik des Schönbohm-Nachfolgers?  ■ Von Barbara Junge

Der Ton hat sich geändert – wo bis in den November hinein nur ertüchtigende Marschmelodien geblasen wurden, erklingt jetzt gediegene Kammermusik. Selten dringt ein Ton auf die Straße. Aber hat der neue Innensenator auch ein anderes Lied angestimmt?

Eckart Werthebach, Christdemokrat, ehemaliger Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und bis zur Bundestagswahl Staatssekretär für das Kanthersche Bundesinnenministerium, ist seit dem 12. November 1998 als Chef der Klosterstraße vereidigt – morgen sind es 100 Tage. Seitdem ist es still geworden um „Ghettos“ oder nationale Identität. Die populistische Glanzrolle des politisch inkorrekten Ausländerfeinds Jörg Schönbohm ist unbespielt.

Er ist besser, sagen die einen. Er ist noch gefährlicher für das Zusammenleben in Berlin, meinen die anderen. Und Wolfgang Wieland von den Bündnisgrünen sagt schlicht: „Es lohnt sich noch nicht einmal, ihn zu ignorieren.“

Die politische Praxis des neuen Innensenators spricht eine deutliche Sprache. PDS-Beobachtung – wird fortgesetzt. Abschiebungen – nicht mehr aber auch nicht weniger als unter Schönbohm. Zuzugsbegrenzung für Asylbewerber in bestimmte Wohngebiete – selbstverständlich. Verschärfung des Polizeigesetzes – unabdingbar durchzusetzen.

Zweifel an der Fortsetzung der bisherigen politischen Generallinie der Innenverwaltung sind unangebracht. Unterschiede liegen in der Form. Statt die Eskalation zu suchen, setzt Werthebach auf Beharrlichkeit. Statt mit nationalistischen Tönen vor die Kameras zu treten, erarbeitet Werthebach die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Selbst das Auftreten der Polizei hat sich seit seinem Amtsantritt deutlich gewandelt. Deeskalation – unter Schönbohm zum Schimpfwort mutiert – findet wieder Anwendung auf den Berliner Straßen. Wie auch jüngst bei den Protesten der KurdInnen.

Insbesondere aber ist sich Werthebach auch für die unerotischen Aufgaben des Innenressorts nicht zu schade. Die Verwaltungsreform – plötzlich kommt Tempo in die Umstrukturierung der Hauptstadtbehörden. Die Umstrukturierung des Verfassungsschutzes – nun berät das Parlament die neuen Strukturen des krisengeschüttelten LfV. Und seit November hat der Regierende Bürgermeister am Senatstisch einen Innenpolitiker sitzen, der die Akten gelesen hat, seine eigenen und auch noch die, die ihm seine RegierungskollegInnen vorlegen. In diesem Punkt sind sich denn auch alle, die mit dem blonden Bonner Beamten in Berührung kommen, einig: Der Mann weiß, wovon er spricht.

„Eckart Werthebach ist viel mehr als Jörg Schönbohm ein Verwaltungsfachmann“, urteilt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Eberhard Schönberg. „Er weiß also genauer Bescheid, wie seine Behörde funktioniert.“ Innenpolitiker Wolfgang Wieland bestätigt: „Ein Büromensch. Typ bürokratischer Administrator.“ In seiner Verwaltung gilt er als penibler Arbeiter. Joachim Jetschmann, Chef des Berliner Beamtenbundes, schätzt den neuen Boß der öffentlichen Bediensteten unter anderem wegen des „sachorientierten Dialogs“.

In der Koalition wird ein hübsches Beispiel für die unterschiedlichen Arbeitsweisen der beiden Innensenatoren zitiert: „Lange hat die Verwaltung die Zusammenlegung von Bürgerbüros und Landeseinwohneramtsfunktionen verzögert. Innensenator Werthebach hat sich die Unterlagen der Verwaltung angesehen und die Hindernisse ausgeräumt. Sein Vorgänger hätte diese Unterlagen einfach nicht gelesen. Die Zusammenlegung wäre nicht passiert.“

Eckart Werthebach gilt schon lange als „technokratischer Spezialist“, nicht als wortreicher Ideologe. „Entscheidend geprägt“, wie er von sich selbst sagt, hat ihn allerdings der „heiße Herbst“: die Krisenstäbe gegen den Terrorismus in den 70er Jahren, die Schleyer-Entführung. Er gilt auch in der SPD als Hardliner, als Geheimdienstmann.

„Kanther pur“, nennt Wolfgang Wieland die Politik, die mit Werthebach an die Spree geholt wurde. Videoüberwachung und Schleierfahndung seien keineswegs eine liberalere Innenpolitik. Freke Over, Innenpolitiker der PDS, geht weiter: „Im Endeffekt ist Eckart Werthebach wahrscheinlich der gefährlichere Innensenator für Berlin“. Werthebach mache zwar nicht Stimmung gegen Multikulti, „seine Politik, die von ihm anvisierten Verschärfungen des Polizeigesetzes, läuft jedoch effektiver auf Verdrängung hinaus“, so Over. Weiter kritisiert er ein Mehr an Observationen durch den Verfassungsschutz, die von Werthebach mißachtete Trennung von Geheimdiensten und Polizei und „daß nach Festnahmen bei linken Demonstrationen inzwischen fast ausnahmslos Hausdurchsuchungen durchgeführt werden“.

Und dennoch – in der Ahnengalerie der CDU-Innensenatoren wird Werthebach nur ein blasses Porträt hinterlassen. Was ist schon ein intellektueller Werthebach gegen die Lummers, die Kewenigs, die Heckelmanns und die Schönbohms? „Der eine tanzt auf Feten, der andere liest die Akten“, so schön umschreibt ein Sozialdemokrat die Unterschiede zwischen Schönbohm und Werthebach. Und während die Liberalen in der CDU froh sind, daß Werthebach, „obwohl er gewiß kein Liberaler ist“, den Stil seines Vorgängers nicht fortsetzt, vermissen die Rechten die „Hemdsärmeligkeit“ eines Jörg Schönbohm. „Schönbohm hat zwar polarisiert, aber er war auch ein Zugpferd.“ Und selbst Wolfgang Wieland beklagt eine „Verentlebendigung“.

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