piwik no script img

Föderationsrat besiegelt den Bruderbund

■ Trotz massiver Proteste des Moskauer Oberbürgermeisters ratifiziert das russische Oberhaus den Freundschaftsvertrag mit der Ukraine

Moskau (taz) – Nach fast zweijährigem Tauziehen hat das Oberhaus des russischen Parlamentes am Mittwoch endlich ein großes russisch-ukrainisches Vertragswerk über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft ratifiziert. Das Abstimmungsergebnis mit 106 Pro-Stimmen gegen 24 Nein-Stimmen bei 17 Enthaltungen bedeutete einen wichtigen Sieg für die Regierung Primakow und die größte Niederlage seit langer Zeit für die russischen Ultrapatrioten.

Bis zuletzt wetterte Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow gegen den geplanten Bruderbund. Am Dienstag noch hatte er ein Häuflein von Anhängern seiner neugegründeten Partei „Vaterland“ zu einer Protestdemonstration auf Moskaus Straßen geführt. Der potentielle Präsidentschaftskandidat mag einfach nicht mit der Ukraine befreundet sein und hindert auch andere daran. Vor allem störte ihn in dem Abkommen die gegenseitige Anerkennung der Grenzen. Seit zwei Jahren fordert er den gegenwärtig zur Ukraine gehörenden Schwarzmeerhafen Sewastopol, bisweilen auch die Halbinsel Krim, für Rußland.

Die Mitglieder des Russischen Föderationsrates behielten sich am Mittwoch in Bezug auf diese Frage noch einen ganz kleinen Handel vor. Die Rada in Kiew, die zwar das Vertragswerk ihrerseits längst ratifizierte, stimmte bis heute nicht den schon vor einigen Jahren zwischen Moskau und Kiew ausgehandelten drei Abkommen über die Teilung der Schwarzmeerflotte zu. Ihnen zufolge darf Moskau den Hafen von Sewastopol noch zwanzig Jahre mieten. Jetzt forderte der Föderationsrat nur noch die Ratifizierung dieser drei Abkommen von ukrainischer Seite als Voraussetzung dafür, daß das große Hauptvertragswerk in Kraft tritt. Die heutigen Grenzen der Ukraine werden damit von Moskauer Seite anerkannt.

Die Abstimmung war nicht zuletzt wegen diverser zwischenstaatlicher Reibereien immer wieder hinausgeschoben worden. Mitte Januar erklärte zum Beispiel Rem Wachirjew, Chef der Gasprom, Erdgasholding und größte Steuerzahlerin Rußlands, UkrainerInnen hätten aus den gen Westen über ihr Gebiet führenden Gaspipelines im Dezember 2,5 Milliarden Kubikmeter russischen Gases abgezapft. Der Schaden für Gasprom betrüge täglich fünf Millionen Dollar.

Inwischen wärmen sich die Matrosen der russischen Schwarzmeerflotte ihre Süppchen mit den letzten Dieseltropfen aus den Tanks der eigenen Kreuzer. Die Gemeinde Sewastopol hat ihnen wegen horrender Zahlungsrückstände seit Mitte Januar Strom und Wasser abgesperrt. Auch die ukrainischen Werften klagen über zehntausende von Dollars, die Rußland ihnen nach wie vor für Schiffsreparaturen schuldet. Wie diese Beispiele zeigen, resultierten die Schwierigkeiten mehr aus beidseitiger Armut, denn aus bösem Willen. Guten Willen zeigte die Rada in Kiew im Dezember, als sie eine neue Verfassung für die Krim billigte. Die Halbinsel wurde nahezu autonom und erhielt auch das wichtigste aller Rechte: Sie darf die auf eigenem Territorium eingesammelten Steuern selbst ausgeben. Im Januar stimmte Kiew der Einrichtung eines russischen Konsulates auf der Krim zu.

Die sechs Jahre Arbeit an dem nun in beiden Hauptstätten angenommenen Vertragswerk forderten von beiden Seiten titanische Anstrengungen. Unterzeichnet wurde es am 31. Mai 1997 von den Präsidenten Leonid Kutschma und Boris Jelzin. Es geht dabei vor allem darum, Lebensadern wieder zu öffnen, die beim Zerfall der UdSSR Ende 1991 abgebunden worden waren. Das beginnt beim kleinen Grenzverkehr und endet bei den zahlreichen Kooperationen – vor allem im Raketen- und Flugzeugbau – der eng aufeinander angewiesenen Unternehmen der russischen und ukrainischen Militärindustrie. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages werden viele kleine Unannehmlichkeiten und große wirtschaftliche Nachteile für die BürgerInnen beider Staaten nun ein Ende finden. Barbara Kerneck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen