: Eine wirre Gesellschaft auf dem
■ Die Regisseurin Karin Beier löst in ihrer großartigen Inszenierung von Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ die Stimmung am Vorabend der Revolution auf und zeigt statt dessen ganz profan liebende und schlagende Menschen
Karin Beier hat ihre ganz eigene Art, mit der Ablösung des Ancien Régime durch die auch blutige Revolution umzugehen. In ihrer Inszenierung der 1786 handelnden und geschriebenen Oper „Die Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart, die nun am Bremer Theater Premiere feierte, ist die junge Regisseurin nicht zimperlich.
Susannas Ohrfeige bei Mozart wird bei ihr zu dem wirksamen Knietritt, den wir in der Selbstverteidigung gelernt haben. Figaro knallt mal eben seine Mütze dem Grafen auf den Kopf. Marzellina und Susanna geraten sich buchstäblich in die Haare. Und Susanna kann ihr fingiertes Angebot, sich mit dem Grafen treffen zu wollen, deftig und direkt anbringen, einmal auf dem Boden und einmal im Wasser – die Buhrufe an dieser Stelle kamen von Frauen.
Historisch geht Karin Beier nicht vor. Im Gegenteil: rot und schwarz in zeitgenössischen Fantasieklamotten (von Lydia Kirchleitner) – nein, wir sind nicht im Musical „Jekyll und Hyde“ – sind die permanent zugegenen Grundfarben aller AkteurInnen, ein gesellschaftliches Gefälle scheint es nicht mehr zu geben. Gleichwohl sind die Menschen am Ende des zweiten Aktes so durcheinandergewürfelt, so ihres Bodens entrissen, daß sie weder wissen, wie es mit ihnen weitergeht noch, wie sie selber sich verhalten und handeln sollen: Die Protagonisten verschaffen sich Notenblätter, nach denen sie singen.
Dies ist einer der schönsten Einfälle in Karin Beiers Arbeit, die nicht am Außen, sondern am Innen der Personen ansetzt. Keine Opernfiguren, keine Marionetten der Stände, sondern ungemein lebende und vor allem liebende Menschen agieren hier: der dauerverknallte Cherubino, der mit pubertär weiß gestärkten Haaren gar nicht anders kann, als jedem Rock nachlaufen; oder die handfeste Susanna, die einzige, die von Anfang bis Ende weiß, was sie will und was sie nicht will und dies zielstrebig zu organisieren sucht. Die betrogene Gräfin, zornig, beleidigt, auch nicht gerade wenig interessiert an den Alternativen und doch noch voller Hoffnung.
Der smart-labile Graf, der seine gespielte Selbstsicherheit teuer bezahlen muß, die kesse Barbarina, direkt aus dem Steintor entsprungen und endlich der pralle Figaro, den oben und unten schon lange nicht mehr kümmern. Er weiß, was er wert ist und kann das mit imposantem nacktem Oberkörper auch vorzeigen. Daß dies alles auch so ankam, ist einer gründlich charakterisierenden Körperarbeit und exzellenten schauspielerischen Leistungen zu verdanken.
Die zweite Stilebene der Inszenierung ist die Idee, daß es sich auch um ein Spiel handelt: wir nehmen teil an Umbauten, wir sehen die platt gemachten Haare unter dem Perückentausch, Cherubino singt seine Arie im von Susanne arrangierten Scheinwerferlicht, Figaro empört sich über die Frauen im Publikum und schubst auch mal die Cembalistin nicht eben sanft. Cherubino springt im Orchestergraben auf eine Geige anstatt im Garten auf einen Blumentopf, in der Gerichtsszene sind schreibende und fotografierende Reporter anwesend. Die ebenso brechtsche wie ungehemmt kalauerhafte, durch wunderbare Lichtideen unterstützte Spielweise droht gelegentlich zu kippen.
Und trägt vor allem nicht folgenden Stilwechsel: Wenn der Graf im dritten Akt seine Großherzigkeit bereut, läßt er über einen Flaschenzug sein altes Adelskostüm kommen und narzistisch beglückt zieht er es im Spiegel wieder an – eine geniale Idee. Dann aber wird der Hochzeitstanz Fandango genutzt zur Persiflage eines „großen Fressens“, während dessen der Graf mit allem möglichen vollgestopft wird und die Gesellschaft sich in meterlangen Spaghetti verwickelt. Ein solch gesellschaftskritischer Ansatz ist in dieser Inszenierung gar nicht entwickelt und deswegen wirkt die Szene auch eher peinlich, bzw. kann keine schlüssige Wirkung entfalten.
Mit dieser Entscheidung – „Von der Revolution hab ich gar nichts gesehen“, sagte ein Herr hinter mir – versucht Karin Beier, die tiefen Gefühle der Menschen in dieser nicht erzählbaren, weil zu verwickelten Komödie zu zeigen. Sie unterstreicht diese Konzeption mit der geometrischen Abstraktheit des funktionalen Bühnenbildes (Achim Römer), in dem vieles offen umgebaut wird.
Wie sehr die Musik selbst Trägerin des dramatischen Geschehens ist, beispielsweise im Terzett des Finales, dessen Sonatenhauptsatzform deutlich macht, daß es sich um einen Disput unter gleichen handelt, zeigt eine solche Szenenkonzeption einleuchtend und vor allem auch witzig. Mit Augenblickskomik geizt Karin Beier nicht. Das Orchester unter der Leitung von Massimo Zanetti spielte – premierenbedingte Wackler sollen hier überhört werden – spritzig, akzentuiert, farbig, dramatisch, durchsichtig, kurz: allein die musikalische Wiedergabe lohnt einen Besuch!
Daran tragen auch die SängerInnen erheblichen Anteil, obschon exzellenter Mozartgesang – ganz streng genommen – eigentlich nur bei Fredrika Brillembourg zu hören war.
Aber glänzend flexibel auch George Stevens als Figaro, subtil differenziert Rachel Tovey als Gräfin, leicht – fast zu leicht für einen tiefen Ausdruck, wie er in der Rosen-Arie erforderlich ist – Laura Pedersen als Susanna, deftig und durchschlagend Katherine Stone als Marzellina und der etwas herbe Armin Kolarczyk als Almaviva. Es versteht sich von selbst, daß es in dieser Inszenierung keine Nebenrollen gibt. Kraftvolle und komische Akzente kamen von Andreas Reblin als Antonio, Uwe Eikötter als Basilio und Don Curzio, Iris Kupke als Barbarina und Karsten Küsters als Bartolo. Begeisterter Beifall des Publikums.
Ute Schalz-Laurenze
Weitere Aufführungen von „Die Hochzeit des Figaro“ im theater am Goetheplatz: 21. Februar 15.30 Uhr, 25. Februar 19.30 Uhr, 12. März 19.30 Uhr
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