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Kutips zum Wochenend

„Die Zeit hat immer Zeit“, singt ein Spickzettel auf dem Schreibtisch von Funny van Dannen. Ist das nicht fürchterlich tröstlich? Das Sein nimmt für einen Satz Abstand und bleibt für ein paar Lieder ganz bei sich (Lagerhaus, Sa, 20 Uhr). Die Seele ringt sich darob ein „Ach“ ab und blinzelt auf der Schwelle zur Sprachlosigkeit belustigt ins anthropologe Nichts. Will sagen: Es gibt heute wieder Menschen, die existentialistische Bücherschreiben wollen. Natürlich über Camus und nicht über den blöden Sartre. Komisch, mit welcher Schnelligkeit sich das duftende Heu vom Stroh trennt. Nie wird Übervater Sarte aus seinem Grab auf dem Père Lachaise in die Seele der Menschen kriechen, wie heute abend Funny van Dannen.

Auf dem Friedhof in Okel bei Syke soll jetzt Einer wieder ausgebuddelt werden, der in seinem Leben durchs Land strich und irgendwo seine Ruhe suchte. Die Friedhof sei nur den Okelern vorbehalten, heißt es. Der obdachlose Geist möge über Onkens Kinder und Kindeskinder kommen und ihnen den Schlaf rauben (Huhuhuu). Unsäglich ist die Welt auf ihrem Weg zum Seelenheil (“Und die Welt ist wie die Welt“, singt Funny) und Hoyerswerda ist überall. Der Bürgermeister von Okel heißt übrigens Schmock und präferiert statt langer Worte lieber richtige Bilder: Die „ganze Debatte“ um den Toten sei sehr ärgerlich, denn sie gebe ein „völlig falsches Bild“ von seiner schönen Gemeinde.

Erinnern Sie sich an die letzten Kutips: Stichwort „Doppelpaß“ ? Richtig: „Alles Schweine“. Dazu erreichten uns jetzt ein paar gerade Worte vom Landwirtschaftsminister Funke: „Unser größtes Problem ist: Wir haben in Europa zu viele Schweine.“ Da meldet sich schon wieder die Seele (“Ach“) zu Wort „Du schaffst nichts Neues auf der Suche nach Neuem“(van Dannen) Ja, die Seele. Schön, daß sie nur außer sich existiert. Im Gegensatz übrigens zu den steinernen Übervätern am Père Lachaise. Die Seele ist nämlich sozusagen leibhaftige Dekonstruktion. (Aber von der will außer am Samstag abend im Lagerhaus ja auch keiner mehr was wissen. 20 Uhr, Funny van Dannen). Oder haben Sie schon mal eine Seele ohne ein hervorgebrochenes „Ach“ erlebt? Na also: Alles Sprache. Wenn Sie Ihre Seele baumeln lassen wollen, sollten Sie sich also lieber dahin aufmachen, wo die Worte in den Himmel wachsen: Ins Lagerhaus zu Funny, oder dahin, wo die Leben sich zusammenknüllen zu Lebensgeschichten. Im Erzählcafé des Brodelpott sitzt diesmal „eine fast Neunzigjährige“(!!) – die hat bestimmt viel zu erzählen von der Nazizeit und den ersten Autobahnen und alles. Trotzdem macht sich bei „fast“(!!!) neunzig Lebensjahren leise Enttäuschung breit. Was ist mit der Jahrhundertwende anno 1900, was mit 1848, was mit der Erfindung der Eisenbahn kurz nach Goethe? Bißchen Zeit sollten sich die Leute schon nehmen, bevor sie ins Quatschen geraten. Anders ist es natürlich, wenn man eine richtige Geschichte zu erzählen hat. Von Paulus über Augustin, Rousseau bis zu Adolf Dierking sind am schönsten immer noch die christlichen Erlösungsgeschichten: „Von einem gepflegten Antisemitismus zur Rettung durch eine Jüdin“ (Kolpinghaus, Sa, 16 Uhr).

Hinweisen möchten wir zuletzt noch auf eine der größten Kulturleistungen, die unsere Mediengesellschaft hervorgebracht hat: Die Freudsche Fehlkorrektur. Haben Sie's gelesen: taz vom 19.2., Seite 21, zweites Bein: „Der vorläufige Rechtsschutz sollte gestern durch ein Urteil endgültig werden. Doch dieses zog sich zur Beratung zurück.“ Da springt das Herz, tokatok tokatok, im glücklichen Dreivierteltakt. Tiefgründiger nie geriet die Umsetzung des Satzes „Die Zeit hat immer Zeit.“ taz

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