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Halbe Männer, doppelte Frauen

■ „Jekyll & Hyde“-Deprimiere: Kann vollkommen strunzdämlicher Quargel Bremen groß machen?

Was dabei rauskommt, wenn man Menschen rotes Zeugs einflößt, auf daß sich ihre guten und bösen Anteile in getrennten Individuen materialisieren, sieht man an Lisa: Man kann Frauen in beliebige Teile zerlegen – immer kommen Heilige dabei raus.

Die Verlobte Lisa (wonderbra gespielt von Susanne Dengler, laut Programmheft ausgebildete Grundschullehrerin) liebt ihren Um-ein-Haar-Mörder. Und das Freudenmädchen Lucy (man muß hier das perfekte Gebiß von Lyn Liechty erwähnen, das sie aufgrund einer genetisch bedingten Kieferstarre ohne Unterlaß zeigt, wobei das Programmheft nicht ohne Hintersinn darauf hinweist, daß sie schon mal in Ein Paar weißer Hühner sitzt herum und quatscht auftrat), Lucy also ist noch reiner und keuscher und blankäugiger als ihre kotzbiedere Gegenspielerin. Auch sie ist eine Heilige der Sorte, der man sonst nur in Liebe Sünde begegnet.

Wer jetzt das Musical Jekyll & Hyde kennt und einwirft: „Aber die Damen haben doch gar kein rotes Zeugs der Marke JH 7 zu sich genommen“, dem halte ich entgegen: Wacker, Jekyll & Hyde-Kenner! Aufmerksam beobachtet! Leider ist das Bremer Musical nämlich nicht erfunden worden, damit Rezensenten zeigen können, wie klug sie sind.

In Wahrheit wird in Jekyll & Hyde ein Mann zerlegt. In einen mephistophelisch dreinblickenden Dr. Jekyll mit Zwangscharakterzopf, der rotes Zeugs mixt. Und einen zottelmanteligen Mr. Hyde, der an Guildo Horn erinnert und mephistophelisch dreinblickt, weil er rotes Zeugs getrunken hat. Aus irgendeinem Grund bringt Mr. Hyde dauernd Leute um und behandelt Frauen schlecht, die nicht mit ihren Geizen reizen. Beide Mannteile werden von einem einzigen Mann gespielt, Ethan Freeman, daraus erklärt sich das beiderseits Mephistophelische, denn Freeman (laut Programmheft die Stimme des Jethro in der deutschen Fassung des Zeichentrickfilms Prince of Egypt) sieht schon von Haus aus mephistophelisch aus.

Ein Musical zeichnet sich dadurch aus, daß belanglose, jeden denkenden Menschen beleidigende Sätze gesungen und dadurch bedeutend werden. Wir werden ergriffen, gepackt, geschüttelt und zu Tränen gerührt von geschmetter-tem Liedgut wie: Doch wie soll's geh'n / Ich muß es seh'n bzw. Ich zeig euch nun / Man kann es tun bzw. Und doch bleibt es ein Fakt / Die Nacht bestimmt den Takt. Ungelogen: Das funktioniert! Weil wir vorher 100 oder 200 Mark ausgegeben haben. Weil das Arrangement mit Vollverpflegung und Dreisternehotel 800 Mark kostet. Weil wir uns in tonnenschweren Rüschenfummel geworfen haben. Weil wir vorher Sekt getrunken haben. Weil wir bereit sind, in knödelnden Grundschullehrerinnen anzubetende Stars zu erkennen. Weil wir jedes einzelne Stück Liedgut wie rasend beklatschen wollen. Denn wenn wir uns hier und jetzt nicht amüsieren, wäre all das schöne Geld zum Kamin rausgeschmissen. Da Rezensenten umsonst reinkommen, soll man nichts von dem glauben, was sie schreiben.

Glauben Sie nicht, daß das Foyer des Theaters demnächst im Volksmund Affenfelsen genannt wird. Glauben Sie bitte nicht, daß es im Musical-Theater nach Lack und Lösungsmitteln stinkt, daß man auf den Außenplätzen zwar nichts sieht, dafür aber von den Akteuren angespuckt wird. Glauben Sie um Himmels willen nicht, daß die ganze Produktion einzig und allein durch widerwärtig ausgefeilte Bühnentechnik und eine beispiellos aufdringliche Lightshow auffällt sowie einen wahrscheinlich sehr aufwendigen optischen Trick, der die Bühne um etwa 100 Meter in das angrenzende Parkhochhaus ragen zu lassen scheint. Glauben Sie nicht, daß dieser Mördereffekt nichts mit dem Stück vom Tier im Mann zu tun hat. Und glauben Sie vor allem nicht, daß zwischen dem Zeitpunkt, da es einem langweilig wird, und der Pause zehn Minuten liegen und daß der 2. Akt noch langweiliger ist. Oder besser: Glauben Sie doch, was Sie wollen!

Glauben Sie, was Sie wollen: Jekyll & Hyde ist fürs Land Bremen so wichtig wie Großaquarien in Bremerhaven und Spielzeugraketen in Gröpelingen. Denn eins ist sicher: Jekyll & Hyde wird Bremen groß machen, denn, das Programmheft verrät es, die Städte, in denen Lisa Darstellerin Susanne Dengler auftrat, „wurden immer größer“. Allerdings muß die Frage erlaubt sein: Was passiert, wenn Hanseaten auf den Geschmack kommen? Wenn sie mal erleben wollen, wie es ist, das Tier von der Leine zu lassen? Wenn sich Bürgermeister Henning Scherf und Wirtschaftssenator Jupp Hattig – Gott bewahre! – gegenseitig Viagra in den Tee tun?

Burkhard Hyde

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