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Wer soll mir nun mein Brot streichen? Von Ralf Sotscheck

Neulich habe ich eine Kiste alter Bücher über Irland geschenkt bekommen. Es ist hochinteressant, was man darin über Land und Leute erfährt. „In diesem Land küßt man sich nicht in der Öffentlichkeit“, heißt es in einem Bildband, „und zu Hause, in Gegenwart der Kinder auch nicht.“

Was die Iren und Irinnen machen, wenn sie alleine sind, hat die Kondomfirma Durex nun herausgefunden. Ihre Untersuchung ergab, daß die innerirische Grenze offenbar zu unterschiedlichem Sexualverhalten geführt hat: In Nordirland haben die Menschen 125mal Sex im Jahr, in Südirland hingegen nur 122mal. Und der Nordire ist ausdauernder, vermeldete der Belfast Telegraph stolz: Im Durchschnitt dauert „eine Begegnung der sexuellen Art“ 21 Minuten und 36 Sekunden, während der Südire schon nach 20 Minuten und 24 Sekunden schlappmacht. Möglicherweise haben die Terroristen wegen des Waffenstillstands in Nordirland einfach mehr Zeit, während der Südire den keltischen Tiger füttern muß?

Es gibt aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Menschen mit Partner haben beiderseits der Grenze mehr Sex als Menschen ohne Partner. Wer hätte das gedacht? Und die Hälfte aller irischen Frauen hätte nach dem Sex gerne eine Umarmung, aber nicht mal ein Drittel bekommt sie auch. 28 Prozent der Männer würden nach dem Sex am liebsten wieder von vorne beginnen, aber die meisten Frauen möchten lieber eine Zigarette rauchen.

Jedenfalls müssen wohl einige alte Bücher über Irland umgeschrieben werden, wollte man sie noch mal auflegen. Robert Briscoe, der jüdische Ex-Bürgermeister von Dublin, schrieb etwa in seinen Memoiren: „Gewöhnlich werden die Puritaner Amerikas für die unbeugsamsten Moralisten aller Zeiten angesehen, und im Verhältnis zu ihnen sind sogar die Katholiken ausgesprochen nachgiebig. Ich versichere Ihnen, daß das nur auf Katholiken in lateinischen Ländern zutrifft. Der irische Katholik ist so puritanisch wie nur irgendein Passagier der Mayflower.“

Die katholische Zeitschrift Ave Maria verlangte in den fünfziger Jahren allen Ernstes, daß „alle irischen Junggesellen in ländlichen Gebieten in Gewahrsam genommen und ins Gefängnis gesperrt werden sollten, bis sie versprechen, sich innerhalb von sechs Monaten eine Frau zu suchen“. Damals hatte Irland die niedrigste Heiratsquote der westlichen Welt, und man hatte Angst, daß die Iren aussterben könnten. Das taten sie aber nicht: Irland hat heute die höchste Geburtenrate der Europäischen Union, aber der Time-Life-Bildband sieht darin nur freudloses Treiben: „Die Größe irischer Familien beweist hinreichend, daß eheliche Pflichten erfüllt werden, aber man hegt den Verdacht, daß die Spötter, die dies als Vermehren ohne Vergnügen erklären, nicht allzu unrecht haben.“

Leidenschaft legt der typische Ire bei anderer Gelegenheit an den Tag, weiß der US-amerikanische Autor Joe McCarthy: „Ihre Selbstbeherrschung zerschmilzt zu hilflosem Schmerz, wenn der Tod ein Familienmitglied hinwegrafft.“ McCarthy behauptet, er sei in Cork einem Mann mittleren Alters begegnet, der sich auf einen Sarg geworfen hatte und klagte: „Oh Großvater, Großvater! Du bist tot und dahin. Wer soll mir nun mein Brot streichen!“

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