: Gold für Kriegsfilm
■ Gestern wurden auf der Berlinale die Bären verteilt. Nicht ganz unerwartet ging der erste Preis an den US-Kriegsfilm „Der schmale Grat“, der bereits für sieben Oscars nominiert worden ist
Ist das Leben wirklich von einer so simplen Dialektik beherrscht, daß das Wort international immer gleich die nationalen Vergleiche herausfordert? Warum es dieses Jahr keinen italienischen Film im Wettbewerb der 49. Internationalen Filmfestspiele in Berlin gab, wunderte sich der neue Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, auf einer Veranstaltung, in der es um die europäischen Metropolen ging. Um dann launig anzufügen, von einer Toskana-Fraktion könne hier jedenfalls nicht die Rede sein.
Nein, das würde man bei Moritz de Hadeln auch nicht vermuten. Und nach dem letztjährigen Desaster mit Pupi Avatis „Der Trauzeuge“ tat der Festivalleiter vielleicht recht daran, Vorsicht walten zu lassen. Auch in der Forum- Reihe konnte der italienische Beitrag – trotz seines hübschen Titels „Am Anfang waren die Unterhosen“ – nicht überzeugen. Apropos schlechte und gute Filme: „Vielleicht muß man einen schlechten Film von Robert Altman akzeptieren, damit er im nächsten Jahr einen guten nach Berlin bringt“, schrieb Anja Seeliger im letztjährigen Abschlußbericht der taz. Und genau so ist es gekommen. „Cookies Fortune“ erhielt bei seiner Vorführung immer wieder Szenenapplaus, der vor allem Glenn Close galt. Sie spielt mit wahrhaft monströsem Charme eine jener selbstgerechten, herrschsüchtigen Damen, die anderen eine Grube graben, um – glücklicherweise – am Ende selbst hineinzufallen.
So brillant wie Altman zeigte sich das übrige amerikanische Kino nicht. Mit Ausnahme von Terrence Malicks „Thin Red Line“, der jenseits der üblichen cineastischen Frontverläufe operiert, erscheint es merkwürdig behäbig. Die Szenen werden breitgetreten und die Dialoge erklären nochmals und nochmals, was man schon längst verstanden hat. Das gilt für Alan Rudolphs „Breakfast of Champions“ ebenso wie für Carl Franklins „One True Thing“, Willard Carrolls „Playing by Heart“ und vor allem David Cronenbergs „Existenz“. Passiert das in deutschen Filmen, dann glaubt man zu wissen, warum es mit dem deutschen Kino nie etwas werden wird. Und gerät dann ins Nachdenken, warum dieses lahme amerikanische Kino, das immer mehr den eigenen Autos zu gleichen beginnt – viel zu weich gefedert und viel zu viel Betriebsstoff schluckend – weltweit immer größere Marktanteile einfährt.
Langweiliges Kino kann offensichtlich durchaus erfolgreiches Kino sein. Was man übrigens wissen muß: Auch wenn er restlos von Disney finanziert wurde, „Shakespeare in Love“ gilt für Variety, das Branchenblatt aus Hollywood, als britischer Film, weil er (mit wenigen Ausnahmen) britisch besetzt, britisch geschrieben und britisch produziert wurde. So lautet die Antwort auf besorgte Leseranfragen.
Nein, was den Wettbewerb der Berlinale dieses Jahr wirklich zu seinen Gunsten ausgezeichnet hat, sind die gutgemachten, spannenden Filme, die ein politisches Anliegen haben. Diese Filme kommen aus allen Ecken der Welt, aus Europa, dem nahen und dem fernen Osten, sie sind international und international verständlich.
Allen voran Bertrand Tavernier mit „Ca commence aujourdhui“, der Geschichte eines Vorschullehrers im verarmten Norden Frankreichs. Kein Agitprop, keine Sozialromantik, nur ein hartnäckiges, lebendiges Hoffnungsmachen. Mit dem Agitprop hatten sie es zwar einmal, Ann Huis „Alltägliche Helden“. Aber der Film ist von Anfang an in der Rahmenhandlung, dem märchenhaften Straßentheater aufgehoben, mit dem ein weißhaariger Beatnik ihre Geschichte, die Geschichte der Hongkonger Bürgerrechtsbewegung und Opposition, erzählt.
Eine andere Opposition, die es nicht geben darf, sind die Kurden. Weder im Irak noch im Iran, gar in der Türkei und jetzt offensichtlich auch nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland. Seitdem sie auf die Straße gehen, um gegen die Gefangennahme Öcalans zu protestieren, sprechen die Kollegen vom „Kurdenkrieg“ in Deutschland. In Berlin allerdings eskalierte der Protest. Aber da hatte die Weltpremiere von „Reise zur Sonne“ schon stattgefunden. Der Film der jungen Regisseurin Yesim Ustaoglu (siehe Portrait auf Seite 11) nimmt nicht einfach Partei, sondern zeigt anhand dreier Migranten, wie die Frage der kurdischen Identität ganz zentral in das Leben der drei eingreift, ob sie es nun wollen oder nicht.
Sich ans Leben zu halten, so wie es sich in seiner alltäglichen Routine zuträgt und so wie es durch den Lauf der Geschichte gebrochen oder auch radikal gewendet wird, scheint ein Muster zu sein, das zunehmend beliebt wird und selbst bei Spielfilmen zu einer immer stärkeren dokumentarischen Form führt.
Die vermißte man beim deutschen Berlinale Beitrag „Aimée & Jaguar“, der sich eher auf „Cabaret“ zu beziehen schien, als auf die letzten Kriegsjahre. Lilly „Aimée“ Wust wird nun von der Holocaust- Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem der Ehrentitel „Gerechte der Völker“ verliehen. Das ist natürlich ein Ehrung, die über diejenige weit hinausreicht, die die Berlinale zu vergeben hat.
Doch nach dem Fest und seinen Preisen kommt auch schon wieder die Arbeit.
So jedenfalls hat es Michael Naumann angekündigt, mit seinem „Bündnis für Film“. Im April soll es losgehen und Filmindustrie, Fernsehsender, Verbände und womöglich auch Banken zusammenbringen. Auf die Frage, daß einige der anvisierten Partner, regionale Filmbüros zum Beispiel, oder auch die Fernsehanstalten, die die letztjährige Novelle zur Filmförderungsanstalt (FFA) zu Fall brachten, von der Idee einer zentralen Regelung nicht unbedingt begeistert sein werden, meinte Naumann: „Die müssen nicht begeistert sein, aber sie haben dieselben Probleme wie alle anderen auch. Und – alle diese Verbände sind nichts ohne die Künstler.“
Ob er sie auf seiner Seite hat? „Die sollen kommen.“ Da es mit dem Staatsminister für Kultur erstmals eine übergeordnete Adresse gibt, sollten sie das tatsächlich tun. Da könnte sich erweisen, ob sich etwas über die neue Einrichtung bewegt. Brigitte Werneburg
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