piwik no script img

Abschreckende Knastluft schnuppern

Anfang März startet das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“  ■ Von Elke Spanner

Knast ist cool. Härtetest. Reifeprüfung. Vielleicht auch langweilig. Oder sitzt doch nur ein, wer dumm genug war, sich erwischen zu lassen? Mythen ranken um das Dasein hinter Gittern. Einblick erhält nur, wer zum Leben dort gerichtlich verdonnert wurde. Außerhalb der Mauern sind es Actionfilme, Romane oder Sozialarbeiter, die vom Alltag im Gefängnis berichten. Daß Strafgefangene selbst die eigentlichen Experten auf diesem Gebiet sind, haben Insassen der Anstalt II in Fuhlsbüttel, „Santa Fu“ genannt, den Hamburger Behörden nach über zweijährigem Kampf nun verdeutlichen können. Anfang März dürfen sie ihr Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ (taz berichtete) starten.

In kleinen Gruppen sollen Jugendliche in Santa Fu Gefangene besuchen – Jugendliche, die selbst „an der Schwelle zu einer kriminellen Karriere stehen“, erläutert Justizsprecherin Annette Pflaum. Dort sollen sie zum einen Zellen besichtigen, unter dem Aspekt, daß diese ihr künftiges Zuhause sein könnten. Vor allem aber wollen die Gefangenen intensiv mit den Kids sprechen. „Der Alltag hier ist kein Zuckerschlecken“, sagt Volkert Ruhe, Insasse in Santa Fu und Initiator von „Gefangene helfen Jugendlichen“. „Wir wollen den Jungs ins Gewissen reden. Wir erzählen ihnen genau, wie wir hier gelandet sind, welche Straftaten wir begangen haben und warum.“

Umgekehrt sollen auch die Jugendlichen aus ihrem Leben berichten. Deshalb, so der Wunsch von Ruhe, sollen die Gespräche möglichst ohne einen Betreuer geführt werden können.

„Wir haben selbst erlebt, wie es draußen etwa mit Jugendgangs abgeht“, sagt Ruhe. „Hätte mir früher ein Gefangener über das Leben im Knast berichtet, hätte das sicher mehr Einfluß gehabt als alle Gespräche mit Schulpsychologen und Sozialarbeitern.“ Vor allem will Ruhe die Jugendlichen davor warnen, daß sie sich selbst ihre Zukunft verbauen. Nichtdeutschen Kids will er von seinen ausländischen Zellennachbarn erzählen, denen nach Verbüßen ihrer Haftstrafe die Abschiebung ins Herkunftsland droht.

Zusammen mit einem Mitinsassen entwickelte Ruhe vor über zwei Jahren die Idee für das Projekt. Mittlerweile sind es fünf Männer, die bei „Gefangene helfen Jugendlichen“ mitarbeiten. Außerhalb der Mauern wird das Projekt von der Behörde für Schule, Jugend- und Berufsbildung (BSJB) sowie der Justizbehörde koordiniert. Die BSJB wählt die Jungen für den Knastbesuch aus – in Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendeinrichtungen. Sie sollen freiwillig kommen, betont Christian Böhm vom Referat Gewaltprävention der Dienststelle Schülerhilfe. Die Vermittlung könne etwa über ein „Haus der Jugend“ laufen. Böhm versteht „Gefangene helfen Jugendlichen“ nicht als Abschreckungsmaßnahme, sondern als Chance, mit gefährdeten Kids ins Gespräch zu kommen. „Strafgefangene mit ähnlicher Biographie kommen vielleicht an sie heran“.

Ob sich das Konzept bewährt, müsse sich zunächst in einer Erprobungsphase zeigen. Schließlich bestünde auch die Gefahr, daß die Jugendlichen den Knastbesuch einfach als „spannendes Happening“ für sich verbuchen. Um dem vorzubeugen, sind die Behörden von ihrem ursprünglichen Plan abgerückt, den Besuch ganzen Schulklassen anzubieten.

Auch innerhalb der Anstalt gibt es skeptische Stimmen. „Ich fürchte, daß die Jugendlichen das hier eher als romantisch ansehen“, sagt ein Gefangener, der vor den Kids auch nicht „als Buhmann“ dastehen möchte. Auch ein anderer Insasse hielte es für sinnvoller, „wenn die Jugendlichen eine ganze Woche mit uns hier verbringen könnten“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen