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Voll amortisierte Gefühlsinvestitionen

Fetisch „Jugend schreibt“: Der 17jährige Benjamin Lebert hat mit „Crazy“ einen autobiographischen Roman hingelegt, nach dem sich alte Feuilletonisten die Finger lecken. Ein Generationsmißverständnis und Lehrstück in Sachen Literaturvermarktung  ■ Von Gerrit Bartels

„Der sieht ja aus wie ein Viva- Moderator“, entfährt es einem Mitarbeiter dieser Zeitung beim Anblick des Konterfeis von Benjamin Lebert. Wohl wissend, daß selbst Viva-Moderatoren in der Regel volljährig sein müssen; aber nicht ahnend, daß Lebert mit seinen wasserstoffblonden Haaren und seinen stechend blauen Augen gerade mal 17 Jahre alt ist. Eigentlich nicht weiter erstaunlich, schon manche Haarfrisur hat für Verwirrung gesorgt, und auch 17jährige Bengels haben wir alle schon mal gesehen.

Doch Lebert hat ein Buch geschrieben, „Crazy“ heißt es, einen autobiographischen „Roman“ vom Leben im Internat und dem Erwachsenwerden. Und damit ist er seit zwei Wochen das sprichwörtlich liebste Kind des Literaturbetriebs und seiner angeschlossenen Medien. Und das nicht, weil hier ein außergewöhnlich toller Text die Party macht, gar ein Jahrhunderttalent entdeckt wurde, sondern vor allem weil mit ihm „der jüngste Autor der Verlagsgeschichte“ (Kiepenheuer-&- Witsch-Verlagswerbung) an den Start geht.

Den meinte man eigentlich schon letztes Jahr in Benjamin v. Stuckrad-Barre ausgemacht zu haben mit seinem Buch „Soloalbum“: Bekenntnisliteratur eines 23jährigen war das, ein Buch über die Tristesse der Postpubertät und die Liebe zu Oasis. Kein großer Wurf, aber ein Ereignis; ein Text, der ein diffuses Lebensgefühl 20- bis 30jähriger ansprach und sich mittlerweile an die 40.000mal verkauft hat. Allein aus diesem Grund lag es nah, diesem „Ereignis“ ein weiteres folgen zu lassen, den Fetisch „Jugend schreibt“ ein weiteres Mal von der Leine zu lassen.

Nach ein paar Texten in jetzt, dem Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, war Lebert von Maxim Biller empfohlen worden, und ruck, zuck machten sich die KiWi- Verantwortlichen mit Lebert daran, „halb im Spaß, halb im Ernst, dem ,Fänger im Roggen‘ ein Pendant entgegenzusetzen“. Ein zweites Boywonder im KiWi-Szene-Land, ein „echtes“ Kind, ein Teenager, der schreiben kann! Leberts Buch jedoch ist ein Entwicklungsroman ganz anderer Art; einer, der sich in Lichtgeschwindigkeit vor allem in den Feuilletons entwickelt, ein kleines Lehrstück in Sachen Literaturvermarktung. Wer da zu spät kommt, den bestraft das Leben wirklich.

So sollte „Crazy“ zwar erst am 24.2. erscheinen, doch schon Anfang des Jahres veröffentlichte die Spiegel-Abonnentenbeilage Kultur extra eine Geschichte über den „Anfänger im Roggen“, der dann vor zwei Wochen eine mütterliche Hymne von Elke Heidenreich im Spiegel folgte. Dort hatte man zwar noch im letzten Herbst über „das Gespenst der Pop-Literatur, das in den Verlagen herumgeistere“, gelästert. Doch nun schien es angebracht, wieder ganz vorne dabeizusein, einen Jungstar aus der Taufe zu heben und ihn zum Heiland für den nach Jungautoren lechenzenden Literaturbetrieb zu erklären („Ein Autogramm von Gott“!).

Und schnell zog auch der Verlag nach: „Die Sperrfrist ist aufgehoben“, teilte man lapidar in Schreiben an die Redaktionen mit, „eine Woche früher als geplant“ werde das Buch ausgeliefert. Geärgert hätte man sich im Verlag schon über das Vorgehen des Spiegels, meint KiWi-Pressesprecherin Gudrun Fähndrich, doch da man das nicht verhindern konnte, habe man „eben aus der Not eine Tugend gemacht“. Eine Startauflage von 30.000 Exemplaren will schließlich unters Volk gebracht werden. Trotz des Verkaufserfolgs von „Soloalbum“ eine üppige Auflage für das Erstlingswerk eines Autors, dessen Credits höchstens in einer berühmten Journalistenfamilie bestehen. Man habe aber gespürt, das dieses Buch „was ganz Besonderes“ sei, so Fähndrich weiter, „dieser Ton, dieses Gefühl, diese Wärme“, und natürlich habe auch der „Aspekt des Alters“ eine nicht unwesentliche Rolle gespielt.

Und diese Wärme, dieses Gefühl, die kann wahrscheinlich wirklich nur ein neuer, junger Heiland den müden Alten geben und zurückgeben, wenigstens einmal sollen sich schließlich die eigenen Gefühlsinvestitionen amortisieren.

Von „Authentiziät“ ist dann auch gern die Rede, wenn es um die Qualität von „Crazy“ geht. Authentizität, die man eigentlich schon längst auf dem Müllhaufen der Siebziger wähnte, an der sich zuletzt die Generation X im Clip- Gestrüpp von MTV das Genick brach, nach der aber anscheinend im Zeitalter von Cyber und Techno mehr denn je jung wie alt lechzt: „Hallo Leute. Ich heiße Benjamin Lebert, bin sechzehn Jahre alt und bin ein Krüppel. Nur damit ihr's wißt. Ich dachte, es wäre von beiderseitigem Interesse.“

Damit entwaffnet der leicht halbseitengelähmte, zum Schreibzeitpunkt noch sechzehnjährige Lebert seine Leser, und der Erzähler seine neuen Mitschüler im Internat. Und dann erzählt er halt von dem öden Leben dort. Wie er und seine Freunde im sogenannten Hurenflügel Sex mit den Mädchen haben. Wie sie nach München aufbrechen, um in einer Stripbar zu enden: voll das leere 16jährige Leben halt, der Fluch der frühen Jahre.

Der Rest sind Gespräche unter Freunden, und in denen wird ohne Unterlaß genauso mutig wie auch unausgegoren über das Leben als solches pseudophilosophiert: „Schmeckt das nicht nach Leben?“ fragt Freund Janosch einmal beim Rauchen einer Zigarre, ein anderer fragt: „Das Kino erzählt doch vom Leben, oder?“, woraufhin Janosch antwortet: „Nein, der Weg zum Kino erzählt mehr vom Leben.“

Am Ende ist schließlich auch der Ausflug in die Stripbar „eine Geschichte, die das Leben schreibt“. Und so weiter. Das mag einmal bezaubern, irgendwann weinen die Jungs alle bei der Lektüre von Hemingways „Der alte Mann und das Meer“, vielleicht auch beim zweiten Mal, doch schon bald sehnt man sich nach einem anderen Leben beim Lesen, nach Fiktion, Artyness, Wahnwitz.

Ein paar Generationen raufgeklettert aber, und es paßt wieder, irgendwie. Da wird dann weniger ein sowieso sehr einseitiger „verlogener Generationsvertrag geschlossen“, wie die Faz mäkelte, sondern insbesondere ein lustiges Generationsmißverständnis produziert.

Die 56jährige Elke Heidenreich umarmt Lebert gleich stellvertretend für alle seine Altersgenossen: „Wir gehen in den Fußgängerzonen oft ratlos hinter diesen jungen Schlaksen her, die mit verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappen, übergroßen Hosen und riesigen Turnschuhen abwesend und abweisend vor uns her schlurfen: Lebert schafft es nicht nur, daß wir ahnen, was in ihren Köpfen vorgeht, er schafft es sogar, daß wir die mögen, die sie tragen.“ Kommt an mein altes Herz, ihr HipHopper, Lara-Croft-Jünger und Neo- Punks, sind doch so kleine Füße!

Dabei haben sie es untereinander schon schwer genug, sich zu verstehen: Sarah Heister, 16jährige taz-Schülerpraktikantin, fand „Crazy“ nicht so „prickelnd“, stieß sich am Lebertschen „Rauchen, saufen, Frauen mißbrauchen“- Ton, bedankte sich aber doch nach der Lektüre: „Ich weiß jetzt, wie die Jungs in meinem Alter denken!“ Damit die armen Teenies von heute aber nicht ganz mit sich allein gelassen werden, haben sie gestern in der Faz noch einen Versteher mehr bekommen: Maxim Biller, der sich selbstgefällig, pseudobetroffen und natürlich weiterhin begeistert (in der linken Hand den Penis, in der rechten die Tastatur?) dafür entschuldigt (!), Lebert „entdeckt“ und nicht beschützt zu haben.

Und was meint Lebert? Der hat diese Woche in jetzt seine „Lebenwert“-Liste aufgeschrieben, unter Punkt 5 steht da: „Verstehen. Alles verstehen.“

Benjamin Lebert: „Crazy“. KiWi Paperback, 175 Seiten, 14,90 DM

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