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Die „Rotweißen“ terrorisieren Ost-Timor

Proindonesische Banden führen auf der Halbinsel eine schmutzige Einschüchterungskampagne mit Hilfe der Armee. Sie wollen die Bevölkerung mit allen Mitteln zur Anerkennung eines Autonomieplans bewegen. Doch eine große Mehrheit ist für die Unabhängigkeit  ■ Aus Dili Jutta Lietsch

Zu einer Zeremonie der „Versöhnung“ hatten die Männer mit den rotweißen Stirnbändern eingeladen. Doch als Bruno dos Santos wie verabredet ins Dorf Guico kam, merkte er zu spät, daß er den Milizen in die Falle gegangen waren: Statt Friedensgespräche empfing ihn und rund 200 Bauern aus den Nachbarorten ein Kugelhagel. Bruno spürte einen heftigen Schmerz am Kopf. „Ich bin nur noch weggelaufen“, sagt der 37jährige, ein schmaler Mann mit zerschlissenem Hemd und wirrem Haar. Er erinnert sich noch über seine Überraschung, als die Chefs der Gruppe „direkt auf uns gezielt haben“.

Gemeinsam mit vier verwundeten Nachbarn erreicht er nach zweitägiger Flucht durch Flußtäler und versteckte Pfade die Hauptstadt von Ost-Timor, Dili. Die Hauptstraßen sind zu gefährlich, um aus Guico in der Region Maubara zu flüchten, die an die indonesische Inselhälfte West-Timor grenzt. Denn die „Eisern Rotweißen“, eine der proindonesischen Banden, die zum Kampf gegen die Unabhängigkeit Ost-Timors aufrufen, haben Blockaden errichtet und kontrollieren Busse und Autos.

Die Schießerei im Dörfchen Guico Anfang der Woche ist Beispiel für die schmutzige Einschüchterungskampagne, die derzeit in Ost-Timor herrscht. Sie hat einen neuen Höhepunkt erreicht, seit Präsident B. J. Habibie im Januar die Bewohner der unruhigen Region vor die Wahl stellte: weitgehende Autonomie oder völlige und schnelle Trennung von Indonesien.

Seitdem entstehen immer neue Banden, die sich „Eisern Rotweiß“, „Tot und lebend für die Integration mit Indonesien“ oder „Rote Schlange“ nennen. Ihr Ziel: Sie wollen die Bevölkerung mit allen Mitteln zur Anerkennung des Autonomieplans bewegen, der im März bekanntgegeben werden soll.

Zwei Tage nach den Schüssen von Guico sitzt Bruno am Mittwoch zusammengesunken auf einem Klappstuhl auf der kleinen Terrasse eines versteckt gelegenen Hauses in der Hauptstadt. Sein Gesicht ist geschwollen, der dicke Verband um seinen Kopf hart von getrocknetem Blut. Er hat nur einen Wunsch: endlich zu schlafen, die Angst und die Schmerzen zu vergessen.

Doch Bruno „hat vielleicht noch eine Kugel im Kopf“, glaubt einer seiner Begleiter, er muß dringend ins Krankenhaus. „Aber wohin?“ fragen die Mitarbeiter des Büros des „Nationalen Widerstandsrates von Ost-Timor“ (CNRT), der von Jakarta nicht anerkannten – aber geduldeten- Vertretung der Unabhängigkeitsbewegung, bei der Bruno nun angekommen ist.

Das Problem: Im zentralen Tokubaru-Krankenhaus von Dili arbeitet kein einziger Chirurg mehr. Die meisten Ärzte in Ost-Timor stammen von Java und anderen indonesischen Inseln. Viele von ihnen haben Anfang Februar in Panik ihre Koffer gepackt.

Noch ist überdies nicht klar, wie viele Tote und Verletzte es in Guico gegeben hat: Die Rotweißen haben Mitarbeiter der Caritas, die mit einer Ambulanz aus Dili kamen, an einer Straßensperre zurückgeschickt. Die Bewohner der Region sagen, daß mindestens drei Menschen erschossen wurden.

Im Büro der osttimoresischen Stiftung für Menschenrechte, „Yayasan Hak“, sitzt wie ein Häufchen Elend Domingos de Oliveira. Er ist 33, sieht aber zwanzig Jahre älter aus. Seine Hemd hängt abgeschabt und blutbefleckt auf der schmalen Schulter, der Verband um seinem Kopf ist ebenfalls durchgeblutet. Irgend jemand hat ihm einen Sarong gegeben, weil seine Hose völlig zerrissen war.

Auch Domingos ist an diesem Tag aus der Region Maubara gekommen. Er ist ein „Rotweißer“, und er weiß nicht weiter. Er hat Angst, nach Hause zurückzukehren, und sucht nun irgend jemand, der ihm eine offizielle Bescheinigung gibt. Darauf soll stehen, bittet er eindringlich, daß er künftig „in Ruhe gelassen wird und nie mehr kämpfen muß“.Er will Bauer sein und sonst nichts.

Domingos Karriere als „Rotweißer“ hat nicht lange gedauert, und er erzählt stockend, warum er sich der Gruppe anschloß. Es begann mit einer guten Tat: Er hatte 5.000 Rupien, etwa 1,20 Mark, an die Kirche gespendet. „Aber dann kam jemand und sagte, die Fretilin habe das Geld genommen und dafür Waffen gekauft.“ Um zu beweisen, daß der kein Anhänger der Unabhängigkeitsrebellen sei, müsse er eines ihrer Dörfer überfallen.

Er sei mit vier Verwandten hingegangen, berichtet er, aber die Bewohner hätten ihn gefangen, auf ihn eingeschlagen und ihn zu einem Camp der Guerilla in der Nähe gebracht, die ihn verhörte und dann nach Dili bringen ließ.

Am Mittwoch morgen herrscht vor dem Makhota-Hotel, eine der beiden größeren Herbergen in der schläfrig an einer Bucht gelegenen Haupstadt, ungewöhnlicher Betrieb: Polizisten sperren die Straßen ab, „Kijang“-Autos parken in mehreren Reihen davor, und ein blaues Transparent verkündet ein historisches Ereignis: Der Schwager des von Indonesien eingesetzten Gouverneurs von Ost-Timor hat eine „Vereinigung für den Frieden in Ost-Timor“ gegründet. Notable der Parteien, proindonesische Geschäftsleute, Beamte, bekannte Mitglieder der herrschenden Familien, untere Chargen der Milizen und Mitglieder des Widerstands sind erschienen und lassen sich eine weiße Friedensrose ans Revers heften.

Unter dem Symbol einer Friedenstaube über verschränkten Händen geloben an diesem Morgen Gegner und Befürworter der Unabhängigkeit, in den kommenden entscheidenden Wochen alle Konflikte friedlich zu lösen. Ein hoher Offizier verspricht, das Militär werde keine Waffen an zivilen Gruppen ausgeben. Friedensnobelpreisträger Bischof Carlos Belo, derzeit in Australien, bittet in einem Brief um Gewaltlosigkeit. Xanana Gusmao, der in Jakarta unter Hausarrest gehaltene Führer des Widerstandsrates CNRT, appelliert in einer Grußbotschaft an den Geist der Versöhnung. Und Tamrat Samuel, Mitarbeiter des UNO-Sonderbeauftragten für Ost-Timor, fordert das Militär auf, „kein Chaos zu produzieren“. Jeder Beitrag wird heftig beklatscht.

Doch nach 23jähriger indonesischer Herrschaft sind die Gräben tief. Ost-Timor hat in den letzten Monaten eine wahre Inflation von „Versöhnungs“-Deklarationen und großen Gesten erlebt. Die nach eigenen Angaben 600 Kämpfer starke Fretilin-Guerilla hat ihre Angriffe auf Anweisung von Xanana Gusmao eingestellt, sagen seine Leute. Aber ihre Wut ist groß. Denn während das indonesische Militär zum Beispiel unter großer Publizität einige besonders unbeliebte Kampftruppen abzog, schickte es im Schutz der Dunkelheit neue Soldaten zurück. Armeechef Wiranto bestritt heftig, Waffen an die zivilen Hilfstruppen wie die Rotweißen auszugeben.

„Alles Lüge“, sagt ein katholischer Priester in Dili, der seit langem auf der Seite der Rebellen steht. Obwohl die Armee dies bestreitet, ist offensichtlich, daß diese bewaffneten Gruppen vom indonesischen Militär unterstützt werden: Ihre Führer gehen in den Armeestützpunkten aus und ein. Sie haben unter anderem M-16-Pistolen erhalten. Am vergangenen Montag ließ die unter der Abkürzung „Mahidi“ bekannte „Tot und lebend“-Miliz sogar Journalisten mit einem Armeehubschrauber zu proindonesischen Kundgebungen fliegen, zu der sie Bauern aus der Umgebung auf Lastwagen herbeigebracht hatten.

„Die Armee weiß, daß 99 Prozent der Osttimoresen die Unabhängigkeit wollen. Jetzt wollen sie uns solange provozieren, bis wir die Geduld verlieren und zurückschlagen“, sagt der Priester.

Niemand weiß, wie viele Osttimoresen bei Indonesien bleiben wollen. Doch es findet sich kaum jemand, der daran zweifelt, daß eine große Mehrheit die Unabhängigkeit wählen würde, wenn sie gefragt würde. „Deshalb“, glaubt der Priester, „will die Armee mit Hilfe der Milizen jetzt immer mehr Zusammenstöße produzieren. Dann können sie der Welt sagen: Seht Ihr, wenn wir aus Ost-Timor weggehen, dann gibt es einen Bürgerkrieg.“

Wenige Stunden nach dem Ende der Friedensgelöbnisse im Makhota-Hotel scheint sich sein Mißtrauen zu bestätigen. Eine kleine Einheit von rund zwanzig mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Zivilisten taucht plötzlich im Stadtteil Becora auf und beginnt, wild um sich zu schießen. Francisco Nai, ein achtzehnjähriger Schüler, sinkt von mindestens drei Kugeln getroffen tot zusammen.

Als die Schützen zwei portugiesische TV-Leute sehen, die in diesem Moment zufällig vorbeigekommen sind, verprügeln sie sie und treiben sie in den nahe gelegenen Militärstützpunkt. Dort taucht nach einer halben Stunde ein Armeeoffizier auf und fordert die Männer mit den Waffen auf, die Journalisten in Ruhe zu lassen. Nach zwei Stunden dürfen die Reporter den Stützpunkt verlassen.

In der Nacht zum Donnerstag ist die Stadt totenstill. Vor dem Haus des Widerstandsrates, wo der tote Francisco aufgebahrt liegt, versucht einer, die aufgebrachte Menge zu beschwichtigen. „Xanana uns gerade per Telefon mitgeteilt: Bleibt ruhig, laßt euch nicht zur Rache provozieren!“ ruft er. Aber seine Zuhörer sind nicht zufrieden.

In der Motael-Klinik der Karmeliterinnen versucht unterdessen ein junger Arzt verzweifelt, einem weiteren Opfer der Schießerei vom Nachmittag die Kugel aus dem Kopf zu operieren. Er ist dafür nicht ausgebildet. Alle wissen, daß der Patient sterben wird. Die Schwestern holen den Priester.

Der Schwager des Gouverneurs erscheint auf dem Flur des Krankenhauses, um sich zu erkundigen, wie es steht. Er hat eine offizielle Version der Vorfälle: Das Militär habe geschossen, nachdem ein Soldat in Zivil von Halbstarken vom Motorrad gezogen worden und getötet worden sei. „O Gott“, stöhnt die ehemalige Parlamentsabgeordnete Maria Olandina Alves auf, „nur kein toter Soldat. Sonst gibt Krieg!“

Im Krankenzimmer gegenüber des Operationsraums liegt Bruno dos Santos aus Maubara. Sein Kopf ist frisch verbunden.

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