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„Eigentlich bin ich ja nicht so für Trickserei“

■ Wie Jürgen Koppelin (FDP) gestern „mit Psychoterror“ die Ökosteuer verhinderte – für vier Tage

Ein Mann hat den Standort Deutschland in letzter Minute gerettet: Jürgen Koppelin und seine kleine FDP haben die Verabschiedung der Ökosteuer buchstäblich um fünf nach zwölf verhindert. Aber der Reihe nach: Heute hätte der Bundestag eigentlich die maßlose Verteuerung von Energie (außer für die Chemieunternehmen, die Mineralölhersteller, die Autoindustrie, die Bauern, die Bahn, etc.) beschließen sollen. Nur noch der Finanzausschuß mußte Mittwoch abend mit Koalitionsmehrheit seine Empfehlung abgeben. Erst um 19 Uhr verabschiedete der Ausschuß seine Empfehlung pro Ökosteuer. Diese „Beschlußempfehlung“ müssen alle Bundestagsabgeordneten zwei Tage vor der eigentlichen Debatte in ihren Fächern haben, in diesem Fall also spätestens Mittwoch, 24 Uhr. Um 21.30 Uhr war das Protokoll fertig. Doch die Eile der gestreßten Mitarbeiterinnen war vergebens. Carl- Ludwig Thiele, FDPler im Ausschuß, prüfte jedes Komma auf seine Richtigkeit, begann gar eine Diskussion mit der Protokollantin über die Gestaltung des Deckblatts und rief anschließend seinen Parteifreund Jürgen Koppelin an. Dessen Bundestagsbüro „liegt zufällig zwei Etagen über der Druckerei des Bundestages“, so Koppelin. Hier mußte auch das Papier des Finanzausschusses zur Vervielfältigung hin. Koppelin war aber schneller da. „Die Arbeiter dort haben alle geflucht, daß sie für diesen Ausschuß sogar nachts arbeiten müssen“, erzählt er, der sich „eigentlich nur nach dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens“ erkundigen wollte. Koppelin habe die Drucker „mit Psychoterror überzogen“, schäumten gestern SPD und Grüne. „Das schaffen wir nie vor Mitternacht, haben die mir in der Druckerei sofort gesagt“, erinnert sich hingegen Koppelin. Um ganz sicher zu gehen, schaute er freilich noch einmal um Mitternacht in der Druckerei vorbei. Und auch FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms erkundigte sich telefonisch beim Leiter der Druckerei, wie schnell dort gearbeitet wird. Zu schnell jedenfalls nicht: Erst fünf Minuten nach zwölf begann die Verteilung der Ausschußempfehlung. Mitarbeiter des Sekretariats warteten schon vor der Druckerei mit laufendem Motor und offenem Kofferraum. Alles vergebens: Die Ökosteuer ist gestorben, zumindest für heute. Die Debatte ist jetzt für nächsten Mittwoch angesetzt, damit sie am 1. April in Kraft treten kann. Es werde Koppelin und Co. nicht noch einmal gelingen, dieses „wichtige Reformvorhaben mit Geschäftsordnungsklamauk“ zu verhindern, grollt es aus den Regierungsfraktionen. Jürgen Koppelin tut arglos: „Eigentlich mag ich diese Trickserei ja gar nicht.“ Robin Alexander

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